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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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jemand zu laut mit jemand anderem darüber sprach, weil er meinte, dass es im allgemeinen Lärm nicht zu hören sei. Aber man erkannte sie auf den ersten Blick an ihren übertrieben schurkischen Galgengesichtern. Kein echter Schurke sieht wie ein Schurke aus. Nur sie.
    Heute fährt sogar die Straßenbahn über den Platz, und man fühlt sich nicht mehr im eigenen Hause, auch wenn man die Individuen, die einem nützlich sein können, schon noch findet, sofern man sie zu erkennen weiß – an eine Mauerecke gelehnt, auf der Schwelle des Café Maître-Albert oder in einer der Seitengassen. Aber schließlich ist Paris ohnehin nicht mehr das, was es einmal war, seit man an jeder Ecke diesen Bleistiftanspitzer von Eifelturm in der Ferne aufragen sieht.
    Genug, ich bin kein sentimentaler Nostalgiker, und es gibt andere Orte, wo ich noch finden kann, was ich brauche. Gestern morgen brauchte ich Kalbfleisch und Käse, und dafür war die Place Maubert immer noch gut.
    Als ich den Käse eingekauft hatte, kam ich bei meinem gewohnten Metzger vorbei und sah, dass er offen hatte.
    »Seit wann haben Sie dienstags offen?« fragte ich, als ich eintrat.
    »Aber heute ist doch Mittwoch, Capitaine«, antwortete er lachend. Verwirrt entschuldigte ich mich und murmelte etwas von nachlassendem Gedächtnis im Alter, worauf er erwiderte, ich sei doch noch jung und es könne jedem passieren, dass er sich im Datum vertut, wenn er zu früh aufgewacht ist. Ich wählte das Fleisch und bezahlte, ohne auch nur einen Moment um Rabatt zu feilschen – nur so gewinnt man die Achtung von Kaufleuten.
    Mit der Frage im Kopf, welchen Tag wir hatten, kehrte ich nach Hause zurück. Ich wollte mir gerade den Bart abnehmen, wie ich es stets tue, wenn ich allein bin, und trat ins Schlafzimmer. Und erst in diesem Augenblick fiel mir etwas Ungewöhnliches auf: Am Kleiderhaken neben der Kommode hing ein schwarzes Gewand, eine unverkennbar priesterliche Soutane. Und als ich näher trat, sah ich, dass auf der Kommode eine kastanienbraune, fast blonde Perücke lag.
     
    Ich fragte mich gerade, welchem Schmierenkomödianten ich in den letzten Tagen Gastfreundschaft gewährt hatte, als mir bewusst wurde, dass ja auch ich maskiert war, denn Bart und Haupthaar, die ich trug, waren nicht meine. War ich demnach einer, der sich mal als wohlhabender Gentleman und mal als Geistlicher kostümierte? Aber wieso hatte ich dann jede Erinnerung an meine zweite Natur ausgelöscht? Oder verkleidete ich mich aus irgendeinem Grund (vielleicht um einer Verhaftung zu entgehen) mit Bart und Perücke und ließ gleichzeitig jemanden bei mir wohnen, der sich als Priester verkleidete? Und wenn dieser falsche Priester (denn ein echter hätte sich keine Perücke aufgesetzt) bei mir wohnte, wo schlief er dann, es gab doch nur ein Bett in meiner Wohnung? Oder wohnte er gar nicht bei mir, sondern hatte sich gestern aus irgendeinem Grunde zu mir geflüchtet, um sich dann seiner Verkleidung zu entledigen und Gott weiß wohin zu gehen, um Gott weiß was zu tun?
    Ich fühlte eine Leere im Kopf, als wäre da etwas, woran ich mich erinnern müsste, aber nicht konnte, wie wenn es zu den Erinnerungen eines anderen gehörte. Ja, ich glaube, von den Erinnerungen eines anderen zu sprechen ist hier der richtige Ausdruck. Im selben Augenblick hatte ich das Gefühl, ein anderer zu sein, der sich von außen beobachtete. Jemand beobachtete Simonini, der auf einmal das Gefühl hatte, nicht mehr genau zu wissen, wer er war.
     
    Ruhe und Vernunft bewahren, sagte ich mir. Für einen, der unter dem Vorwand, Trödlerware zu verkaufen, falsche Dokumente herstellt und sich entschlossen hat, in einem der eher verrufenen Viertel von Paris zu leben, war es nicht unwahrscheinlich, dass er einem in unsaubere Machenschaften verstrickten Zeitgenossen Unterschlupf gewährt hat. Aber dass ich vergessen haben könnte, wem ich Unterschlupf gewährt habe, das klang mir nicht normal.
    Unwillkürlich sah ich mich um, und plötzlich kam mir mein eigenes Haus wie ein fremder Ort vor, der womöglich noch andere Geheimnisse barg. Ich fing an, es zu erkunden, als wäre es das eines anderen. Wenn man aus der Küche tritt, liegt rechts das Schlafzimmer und links der Salon mit den gewohnten Möbeln. Ich zog die Schubladen am Schreibtisch auf, die mein Arbeitswerkzeug enthielten, die Federn, die Fläschchen mit den verschiedenen Tinten, noch weiße (oder vergilbte) Papierbögen in diversen Formaten und Alterungsstufen; auf den Regalen standen

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