Die historischen Romane
einer Höhle, auf einem Friedhof, in einer Krypta, es muss nur schön düster sein, lassen wir einen von ihnen eine Rede halten, in der er ihre konspirativen Pläne offenlegt und ihren Willen zur Eroberung der Welt bekundet… Ich habe immer Leute gekannt, die fest daran glaubten, dass irgendwelche verborgenen Feinde eine große Verschwörung planen, für den Großvater waren es die Juden, für die Jesuiten die Freimaurer, für meinen mazzinianischen Vater die Jesuiten, für halb Europa die Carbonari, für meine carbonarischen Kommilitonen der von den Priestern beeinflusste König, für die Polizeien der halben Welt die Bayerischen Illuminaten… und so weiter, wer weiß, wie viele andere Leute es noch auf dieser Welt gibt, die sich von einer Verschwörung bedroht fühlen. Hier haben wir eine Form, die jeder nach Belieben mit einem Inhalt füllen kann. Jedem sein Komplott.
Alexandre Dumas war wirklich ein profunder Kenner der menschlichen Seele. Wonach strebt jeder, und zwar umso mehr, je elender und vom Glück verlassener er sich fühlt? Nach Geld, und zwar leicht verdientem, nach Macht (was für eine Lust, einen deinesgleichen herumkommandieren und erniedrigen zu können!) und nach Rache für erlittenes Unrecht (und jeder hat zumindest einmal im Leben ein Unrecht erlitten, so klein es auch sein mag). Und voilà, Dumas zeigt im Grafen von Monte Christo , wie es möglich ist, einen immensen Reichtum zu erwerben, der dir übermenschliche Macht verleiht und dich in die Lage versetzt, deine Feinde für alles, was sie dir angetan haben, bezahlen zu lassen. Warum, so fragt sich ein jeder, warum bin gerade ich vom Glück benachteiligt (oder zumindest nicht so begünstigt, wie ich es wollte), warum sind gerade mir Belohnungen vorenthalten worden, die weniger Verdienstvolle erhalten haben? Weil niemand auf den Gedanken kommt, dass seine Missgeschicke mit seiner eigenen Beschränktheit zu tun haben könnten, deshalb muss jeder einen Schuldigen finden. Dumas bietet allen Frustrierten – den einzelnen wie den Völkern – eine Erklärung für ihr Scheitern. Es sind immer andere gewesen, Leute, die sich auf dem Donnersberg versammelt haben, um unseren Ruin zu planen…
Wenn man’s genau bedenkt, hat Dumas nichts erfunden: Er hat nur in erzählerische Form gebracht, was meinem Großvater zufolge der Abbé Barruel enthüllt hatte. Diese Erkenntnis legte mir damals schon nahe, dass ich, wenn ich die Enthüllung eines Komplotts irgendwie verkaufen wollte, dem Käufer nichts Originelles liefern durfte, sondern nur und vor allem das, was er entweder schon gehört hatte oder leicht auf andere Weise hätte erfahren können. Die Leute glauben nur, was sie schon wissen, und dies war die Schönheit der Allgemeinen Form des Komplotts.
* * *
Es war das Jahr 1855, 27 ich war inzwischen fünfundzwanzig, hatte ein Examen in Jurisprudenz abgelegt und wusste noch nicht, was ich aus meinem Leben machen sollte. Hin und wieder traf ich mich mit meinen Kommilitonen, aber ohne allzu große Begeisterung für ihre revolutionären Wallungen, da ich immer mit ein paar Monaten Vorsprung und entsprechender Skepsis ihre Enttäuschungen vorwegnahm: Da seht ihr’s, Rom ist wieder vom Papst zurückerobert, und Pius IX. verwandelt sich aus einem Reformpapst in einen noch reaktionäreren als seine Vorgänger, da seht ihr’s, wie die Hoffnungen schwinden – sei’s durch Unglück oder durch Feigheit –, dass Carlo Alberto zum Herold des geeinten Italiens wird, da seht ihr’s, wie sich in Frankreich, nach mitreißenden sozialistischen Bewegungen, die alle Gemüter entflammt hatten, schon wieder ein Kaiserreich etabliert, da seht ihr’s, wie die neue piemontesische Regierung, anstatt Italien zu befreien, Soldaten in einen unnützen Krieg auf der Krim schickt…
Ich konnte nicht einmal mehr jene Romane lesen, die mich stärker geprägt haben, als meine Jesuiten es je vermocht hätten, denn in Frankreich hatte ein Conseil Supérieur de l’Université, in dem wer weiß warum drei Erzbischöfe und ein Bischof saßen, den sogenannten Abänderungsantrag Riancey gebilligt, demzufolge jede Zeitung, die einen roman feuilleton in Fortsetzungsfolgen publizierte, eine Steuer von fünf Centimes pro Exemplar zahlen musste. Wer nicht viel von Verlagsgeschäften verstand, maß der Nachricht keine große Bedeutung bei, aber ich und meine Kommilitonen begriffen sofort die Tragweite: Die Steuer war zu hoch, geradezu eine Strafsteuer, und die französischen
Weitere Kostenlose Bücher