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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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ohne eine Spur von meiner Soutane und meiner Perücke zu finden. Nur einen falschen Bart neben meinem Bett. Einen falschen Bart?
    Schon vor ein paar Tagen war es mir widerfahren, dass ich beim Aufwachen nicht mehr wusste, wer ich bin, aber damals geschah das in meiner Wohnung, und diesmal war es in der eines anderen. Ich fühlte mich, als hätte ich verklebte Augen. Mir tat die Zunge weh, als hätte ich auf sie gebissen.
    Als ich aus einem Fenster sah, stellte ich fest, dass die Wohnung an der Impasse Maubert liegt, direkt hinter der Rue Maître-Albert, wo ich wohne.
    So fing ich an, mich in dieser Wohnung umzusehen, die offenbar von einem Laien bewohnt wird, der einen falschen Bart trägt und daher womöglich (verzeihen Sie bitte) von zweifelhafter Moral ist. Ich kam in einen Salon, dessen Möblierung eine gewisse Prunksucht verrät; am anderen Ende entdeckte ich hinter einem Vorhang eine Tür, durch die ich in einen Korridor gelangte. Er glich dem Kostümmagazin eines Theaters, voller Kleider und Perücken, genau wie der Ort, an dem ich vor ein paar Tagen eine Soutane gefunden hatte. Da wurde mir klar, dass dieser Korridor, durch den ich damals in umgekehrter Richtung gegangen war, zu meiner Wohnung führte.
    Auf meinem Tisch fand ich eine Reihe kurzer Notizen, die ich Ihren Rekonstruktionen zufolge am 22. März geschrieben haben müsste, an dem Tag, als ich wie heute morgen ohne Gedächtnis erwacht war. Aber was heißt dann, fragte ich mich, die letzte Notiz, die ich an jenem Tage geschrieben hatte, betreffend Auteuil und Diana. Wer ist Diana?
    Es ist schon merkwürdig. Sie haben den Verdacht, dass wir beiden ein und dieselbe Person sind. Aber Sie erinnern sich an viele Dinge Ihres Lebens und ich nur an sehr wenige aus dem meinen. Dafür wissen Sie, wie Ihr Tagebuch zeigt, nichts von mir, während ich, wie ich gerade bemerke, mich an nicht wenige andere Dinge erinnern kann, die Ihnen widerfahren sind, und zwar – welch ein Zufall – genau an jene, derer Sie sich offenbar nicht mehr entsinnen können. Müsste ich also sagen, wenn ich mich an so viele Dinge aus Ihrem Leben erinnern kann, dass ich Sie bin?
    Wohl eher nein, wir sind zwei verschiedene Personen, die sich aus irgendeinem mysteriösen Grunde in eine Art gemeinsames Leben verstrickt haben, ich bin ja ein Geistlicher und weiß vielleicht etwas von Ihnen, was Sie mir unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses erzählt haben. Oder bin ich derjenige, der den Platz des Doktor Froïde eingenommen hat, und habe, ohne dass Sie sich dessen entsinnen, aus den Tiefen Ihres Innern etwas zutage gefördert, was Sie dort begraben sein lassen wollten?
    Wie auch immer, es ist meine seelsorgerische Pflicht, Sie an das zu erinnern, was nach dem Tode Ihres Herrn Großvaters – möge Gott seine Seele in den Frieden der Gerechten aufgenommen haben – mit Ihnen geschehen ist. Ich fürchte nämlich, wenn Sie in diesem Augenblick sterben müssten, würde Gott Sie nicht in den besagten Frieden aufnehmen, denn mir scheint, dass Sie Ihresgleichen nicht gut behandelt haben. Vielleicht ist dies ja der Grund dafür, dass Ihr Gedächtnis sich weigert, Erinnerungen zu speichern, die Ihnen keine Ehre machen.
     
    * * *
     
    In Wirklichkeit war es nur eine recht karge Abfolge von Fakten, die Dalla Piccola aufzählte, immer in seiner feinen verschnörkelten Handschrift, die so ganz anders aussah als die von Simonini; aber es waren genau diese wenigen Andeutungen, die bei Simonini als Auslöser wirkten, so dass ihm plötzlich ganze Fluten von Bildern und Worten in den Sinn kamen. Diese wird nun der ERZÄHLER zu resümieren oder, wo nötig, auch zu erweitern versuchen, um dieses Spiel von Reizen und Reaktionen besser verständlich zu machen – und um dem Leser den heuchlerisch tugendhaften Ton zu ersparen, in dem der Abbé die Verfehlungen seines Alter ego mit übertrieben salbungsvollen Worten benotet.
    Wie es scheint, hatte nicht nur die Abschaffung der Barfüßigen Karmeliter, sondern auch der Tod seines Großvaters den jungen Simonini nicht sonderlich erschüttert. Er mag vielleicht an seinem Großvater gehangen haben, aber nach einer Kindheit und Jugend, die er eingeschlossen in einem Hause verbracht hatte, das eigens dazu gemacht schien, ihn zu unterdrücken, und in dem sowohl sein Großvater wie auch seine schwarzberockten Erzieher ihm unentwegt Misstrauen, Groll und Abneigung gegenüber der Welt eingeflößt hatten, war er immer unfähiger geworden, andere Gefühle zu hegen als eine

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