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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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dort mit besonderer Freude erfüllte, war, als ein anderer zu erscheinen: Die Tatsache, dass die Leute nicht wussten, wer ich wirklich war, gab mir ein Gefühl der Überlegenheit. Ich besaß ein Geheimnis.
     
     
     
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    Allerdings musste ich diese Abenteuer dann einschränken und schließlich ganz abbrechen, weil ich fürchtete, dabei auf den einen oder anderen meiner Kommilitonen zu stoßen, die mich ja nicht als Frömmler kannten, sondern mich für einen glühenden Anhänger der Carbonari-Bewegung hielten, wie sie selbst es allesamt waren.
    Mit diesen Vorkämpfern eines befreiten Vaterlandes traf man sich gewöhnlich in der Osteria del Gambero d’Oro. In einer engen dunklen Gasse über einem noch dunkleren Eingang standen auf einem Schild unter einem vergoldeten Krebs die Worte All’osteria del gambero d’oro, buon vino e buon ristoro . Innen öffnete sich ein schlauchartiger Raum, der als Küche und Weinkeller diente. Man trank zwischen Wurst- und Zwiebelgerüchen, manchmal spielte man Morra, häufiger verbrachten wir, Verschwörer ohne Verschwörung, die wir waren, die Nacht mit Phantastereien über unmittelbar bevorstehende Volksaufstände. Die Küche meines Großvaters hatte mich daran gewöhnt, als Gourmand zu leben, während man im Gambero d’Oro bestenfalls (wenn man nicht wählerisch war) den Hunger stillen konnte. Aber ich musste ja auch ein geselliges Leben führen und den Jesuiten zu Hause entfliehen, und so war das fettige Essen im Gambero mit ein paar heiteren Freunden immer noch besser als die düsteren Abendmahlzeiten zu Hause.
    Gegen Morgen kam man heraus, der Atem knoblauchgesättigt und das Herz voller patriotischer Gefühle, und verlor sich in einem tröstlichen Mantel von Nebel, dem besten Schutz vor den Augen der Polizeispitzel. Manchmal stieg man noch auf die Hügel jenseits des Po, um von oben auf die Dächer und Glockentürme zu blicken, die aus den Nebelschwaden über der Ebene ragten, während sich in der Ferne die schon von der Sonne beschienene Basilica di Superga wie ein Leuchturm mitten im Meer erhob.
    Doch wir Studenten sprachen nicht nur von der künftigen Nation. Wir sprachen auch, wie es in diesem Alter vorkommt, von Frauen. Mit glühenden Augen erinnerte jeder der Reihe nach an ein Lächeln, das er beim Blick auf einen Balkon erhascht, eine Hand, die er auf einem Treppengeländer berührt, eine welke, aus einem Messbuch gefallene Blume, die er aufgehoben hatte und die, so der Prahler, noch den Duft der Hand bewahrte, von welcher sie zwischen die heiligen Seiten gelegt worden war. Ich zog mich pikiert zurück und gewann den Ruf eines ernsten und sittenstrengen Mazzinianers.
    Nur enthüllte dann eines Abends der Liederlichste unserer Truppe, dass er auf dem Dachboden, gut versteckt in einer Truhe seines Vaters, dieses schamlosesten aller Liederjane, einige jener Bände entdeckt hatte, die man damals in Turin (auf französisch) cochons nannte, und da er nicht wagte, sie auf dem schmierigen Tisch im Gambero d’Oro auszubreiten, hatte er beschlossen, sie uns reihum auszuleihen, so dass ich, als ich an der Reihe war, sie nicht gut ablehnen konnte.
    So kam es, dass ich zu fortgeschrittener Nachtstunde in jenen Bänden blätterte, die kostbar und teuer sein mussten, in Maroquinleder gebunden, wie sie waren, mit Goldschnitt, vergoldeten Bünden und Rückenschildchen, vergoldeten fleurons auf dem Deckel und einige auch aux armes . Die Titel lauteten Une veillée de jeune fille oder Ah! Monsieur, si Thomas nous voyait! , und ich erschauerte, als ich in diesen Seiten blätterte und Illustrationen fand, die mir Ströme von Schweiß aus den Haaren über die Wangen in den Hals laufen ließen: junge Frauen, die ihre Röcke hoben, um Hinterteile in blendendem Weiß zu zeigen, Angebote an laszive, gewaltbereite Männer – und ich wusste nicht, was mich mehr verwirrte, ob diese unverschämten Rundungen oder das fast jungfräuliche Lächeln ihrer Besitzerin, die unverfroren den Kopf zu dem drehte, der sie gerade missbrauchte, mit maliziös blickenden Augen und einem keuschen Lächeln, das ihr von rabenschwarzen Locken umrahmtes Gesicht erhellte; oder, noch viel erschreckender, drei Frauen auf einem Diwan, die ihre Beine öffneten und zeigten, was der natürliche Schutz ihrer jungfräulichen Scham hätte sein müssen, eine bot sie der rechten Hand eines Mannes mit zerrauften Haaren dar, der zur gleichen Zeit ihre schamlose Nachbarin penetrierte und küsste und mit der Linken der

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