Die historischen Romane
düstere Selbstliebe, die allmählich zur ruhigen Heiterkeit einer philosophischen Meinung fand.
Nachdem er sich um das Begräbnis gekümmert hatte, zu dem hohe kirchliche Würdenträger und die Crème des dem Ancien Régime verbundenen piemontesischen Adels gekommen waren, hatte sich Simonini mit dem alten Notar der Familie getroffen, einem gewissen Rebaudengo, der ihm das Testament verlas, worin sein Großvater ihm seinen gesamten Besitz vermachte. Nur sei, gab ihm der Notar zu verstehen (und er schien die Mitteilung zu genießen), wegen der vielen Hypotheken, die der Verstorbene aufgenommen habe, und wegen diverser schlechter Investitionen von diesem Besitz so gut wie nichts mehr vorhanden, nicht einmal das Haus mit den vielen Möbeln darin, das als erstes an die Gläubiger gehen würde – die sich bisher noch aus Respekt vor dem geachteten alten Herrn zurückgehalten hätten, aber bei seinem Enkel keine Hemmungen haben würden.
»Sehen Sie, caro Avvocato«, sagte der Notar, »es mögen ja die Tendenzen der neuen Zeiten sein, die nicht mehr so sind wie früher, aber auch Söhne aus guter Familie müssen sich manchmal dazu herablassen, etwas zu arbeiten. Wenn Sie sich zu diesem wahrhaft demütigenden Schritt entschließen würden, könnte ich Ihnen eine Anstellung in meiner Kanzlei anbieten, wo mir ein junger Mann mit juristischen Kenntnissen gut zupass käme, und obwohl ich Sie selbstverständlich nicht Ihrem Ingenium gemäß bezahlen könnte, müsste das, was ich Ihnen geben könnte, immerhin reichen, eine andere Wohnung zu finden und in bescheidenem Anstand zu leben.«
Simonini hatte sofort den Verdacht, dass der Notar sich vieles von dem unter den Nagel gerissen hatte, was sein Großvater glaubte, durch unvorsichtige Aktienkäufe verloren zu haben, aber er hatte keine Beweise dafür und musste schließlich überleben. So sagte er sich, wenn er in der Kanzlei des Notars arbeitete, würde er es ihm eines Tages heimzahlen können, indem er ihn um das erleichterte, was er sicher zu Unrecht erworben hatte. Also fügte er sich darein, in zwei Zimmern an der Via Barbaroux zu wohnen und mit Besuchen in den verschiedenen Kneipen, wo seine Kameraden sich trafen, zu knausern, um die Arbeit bei dem geizigen, autoritären und misstrauischen Rebaudengo anzutreten – der sofort aufhörte, ihn caro Avvocato zu nennen, sondern ihn schlicht Simonini rief, um klarzustellen, wer Herr im Hause war. Aber nach ein paar Jahren als tabellione (wie man damals einen Notariatsanwärter nannte), hatte er die staatliche Anerkennung erworben, und im selben Maße, wie er das vorsichtige Vertrauen seines Chefs gewann, wurde ihm klar, dass dessen Hauptbeschäftigung nicht in dem bestand, was ein Notar für gewöhnlich tut, nämlich Testamente, Schenkungen, An- und Verkäufe und andere Verträge zu beglaubigen, sondern Schenkungen, An- und Verkäufe, Testamente und Verträge zu bezeugen, die niemals stattgefunden oder existiert hatten. Mit anderen Worten, der Notar Rebaudengo fabrizierte für angemessenes Honorar falsche Akten, indem er, wo nötig, die Handschriften anderer Leute nachahmte und Zeugen bereitstellte, die er in den umliegenden Kneipen rekrutierte.
»Damit wir uns recht verstehen, lieber Simon«, erklärte er seinem Angestellten, den er inzwischen duzte, »ich produziere keine Fälschungen, sondern neue Kopien eines echten Dokuments, das verlorengegangen oder aufgrund eines banalen Zwischenfalls nie produziert worden ist, aber es hätte sein können oder müssen. Eine Fälschung wäre, wenn ich einen Taufschein fabrizieren würde, aus dem hervorginge, entschuldige das Beispiel, dass du von einer Prostituierten in dem Kuhkaff Odalengo Piccolo geboren wärst« – und er kicherte glücklich über diese demütigende Hypothese. »Ich würde es nie wagen, ein solches Verbrechen zu begehen, denn ich bin ein Ehrenmann. Aber wenn einer deiner Feinde, nur mal so angenommen, Ansprüche auf dein Erbe erheben würde und du wüsstest, dass der Betreffende weder ein Sohn deines Vaters noch deiner Mutter ist, sondern der Sohn einer Nutte aus Odalengo Piccolo, und dass er seinen Taufschein hat verschwinden lassen, um deine Reichtümer zu ergattern, und du mich nun bitten würdest, diesen verschwundenen Taufschein zu produzieren, um den Kerl zu verwirren, dann würde ich sozusagen der Wahrheit unter die Arme greifen und beweisen, was wir wissen, weil wir wissen, dass es wahr ist, und dabei hätte ich keine Gewissensbisse.«
»Ja
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