Die historischen Romane
dass die Palermitaner beschlossen haben, die Garibaldiner als ein vom Himmel gefallenes Manna zu betrachten und sie gebührend auszunehmen.
Die Begegnung der beiden Großen im Palast des Senats (»Genau wie das Hôtel de Ville in Paris im Jahre 1830!« sagte Dumas begeistert) war sehr theatralisch. Ich weiß nicht, wer von den beiden der bessere Histrione ist.
»Lieber Dumas, wie sehr habe ich Sie vermisst!« rief der General, und als Dumas ihm gratulierte: »Nicht mir, nicht mir, gratulieren Sie diesen Männern. Sie waren Giganten!« Und dann zu den Seinen: »Gebt Monsieur Dumas sogleich die beste Suite im Königspalast. Nichts ist gut genug für einen Mann, der mir Briefe überbracht hat, die mir die Ankunft von zweitausendfünfhundert Männern, zehntausend Gewehren und zwei Dampfbooten ankündigen.«
Ich betrachtete den Helden mit jenem Misstrauen, das ich seit dem Tod meines Vaters für Helden empfinde. Dumas hatte ihn mir wie einen Apoll beschrieben, und nun erschien er mir eher von bescheidener Statur, nicht blond, sondern gelblich, mit kurzen O-Beinen und, nach seiner Gangart zu schließen, von Rheumatismus geplagt. Ich sah, wie er mühsam aufs Pferd stieg, unterstützt von zweien seiner Leute.
Gegen Ende des Nachmittags versammelte sich unter dem Palast eine Menschenmenge und schrie: »Viva Dumas, viva Italia!« Der Gefeierte war sichtlich gerührt, aber ich hatte den Eindruck, dass die Sache von Garibaldi organisiert worden war, der die Eitelkeit seines Freundes kennt und die versprochenen Gewehre braucht. Ich mischte mich unter die Menge und versuchte zu verstehen, was sie in ihrem Dialekt sagten, der mir so unverständlich vorkommt wie das Palaver der Afrikaner, aber einen kurzen Dialog habe ich doch verstanden: Einer fragte einen anderen, wer denn dieser Dumas sei, den sie da hochleben ließen, und der andere antwortete, das sei ein tscherkessischer Prinz, der in Gold schwimme und gekommen sei, um Garibaldi sein Geld zur Verfügung zu stellen.
Dumas hat mich einigen Männern des Generals vorgestellt. Wie ein Blitz traf mich der grimmige Blick von Garibaldis Stellvertreter, dem schrecklichen Nino Bixio 5 , und ich war davon so eingeschüchtert, dass ich die Runde verließ. Ich musste ein Lokal finden, in dem ich kommen und gehen konnte, ohne irgendwem aufzufallen.
In den Augen der Einheimischen bin ich jetzt ein Garibaldiner, in den Augen des Expeditionscorps ein freier Journalist.
* * *
Habe Nino Bixio wiedergesehen, während er durch die Stadt ritt. Nach dem, was die Leute sagen, ist er der wahre militärische Anführer der Expedition. Garibaldi zerstreut sich, denkt immer an das, was morgen getan werden muss, ist tapfer beim Angriff und zieht die anderen mit, aber Bixio denkt an die Gegenwart und stellt die Truppen auf. Während er vorbeiritt, hörte ich einen Garibaldiner neben mir zu einem Kameraden sagen: »Schau mal, wie stechend er dauernd umherblickt. Sein Profil ist scharf wie ein Säbel. Bixio! Schon der Name klingt wie ein Blitzschlag.«
Es ist klar, dass Garibaldi und seine Stellvertreter diese Freiwilligen hypnotisiert haben. Schlecht. Führer mit zuviel Charisma werden alsbald geköpft, zum Wohl und Weiterbestehen der Königreiche. Meine Auftraggeber in Turin haben recht: Es muss verhindert werden, dass dieser Garibaldi-Mythos sich auch im Norden ausbreitet, sonst werfen sich alle Reichsbürger dort in rote Hemden und wir haben die Republik.
* * *
(15. Juni) Mit der örtlichen Bevölkerung sprechen ist schwierig. Klar ist nur eins: Sie versuchen jeden auszubeuten, der »wie ein Piemontese aussieht«, wie sie sagen, dabei sind unter den Freiwilligen nur sehr wenige Piemontesen. Ich habe eine Taverne gefunden, in der ich für wenig Geld essen und einige dieser lokalen Speisen mit unaussprechlichen Namen probieren kann. Ich bin fast erstickt an den kleinen, mit Milz gefüllten pagnotti , aber mit dem guten hiesigen Wein kriegt man mehr als eins davon runter. Beim Essen habe ich Freundschaft mit zwei Freiwilligen geschlossen, einem kaum mehr als zwanzigjährigen Ligurier namens Abba und einem Journalisten aus Livorno namens Bandi, etwa in meinem Alter. Durch ihre Erzählungen habe ich Genaueres über die Ankunft der Garibaldiner und ihre ersten Schlachten erfahren.
»Ah, wenn du wüsstest, caro Simonini«, sagte Abba. »Die Landung in Marsala war ein einziger Zirkus! Also da hatten wir vor uns die Stromboli und die Capri , zwei bourbonische Schiffe, und unser
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