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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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richtig.«
    »Was soll das heißen?« protestierte Simonini, »Sie wollten doch, dass die Kontobücher in Rauch aufgehen, und sind sie das etwa nicht?«
    »Ja, schon, aber mit ihnen ist auch der Oberst Nievo in Rauch aufgegangen, und das ist mehr, als wir wollten. Über dieses verschwundene Schiff wird inzwischen zuviel geredet, und ich weiß nicht, ob es gelingen wird, die Gerüchteküche zum Schweigen zu bringen. Es wird schwierig sein, das Büro für Besondere Angelegenheiten aus dieser Geschichte herauszuhalten. Irgendwie wird es uns zwar schon gelingen, aber das schwächste Glied der Kette sind Sie. Früher oder später könnte ein Zeuge auftauchen und daran erinnern, dass Sie mit Nievo in Palermo befreundet waren und dass Sie dort unten – sieh da, sieh da – im Auftrag von Boggio waren. Boggio, Cavour, Regierung… Mein Gott, ich wage gar nicht an die Gerüchte zu denken, die sich daraus ergeben könnten. Deshalb müssen Sie verschwinden.«
    »In die Festung?« fragte Simonini.
    »Sogar über einen in die Festung verbannten Mann könnten Gerüchte kursieren. Wir wollen nicht die Farce mit der Eisernen Maske wiederholen. Wir denken an eine weniger theatralische Lösung. Sie lassen hier in Turin alles stehen und liegen und setzen sich ins Ausland ab. Gehen Sie nach Paris. Für die ersten Ausgaben muss die Hälfte des Honorars genügen, das wir ausgemacht haben. Im Grunde kann man ja sagen, Sie haben des Guten zuviel tun wollen, und das ist dasselbe, wie wenn man eine Arbeit nur halb macht. Und da wir nicht von Ihnen verlangen können, dass Sie in Paris auf lange Sicht überleben, ohne wieder irgendein Unheil anzurichten, werden wir uns sofort mit unseren dortigen Kollegen ins Benehmen setzen, die Ihnen von Zeit zu Zeit besondere Aufträge erteilen können. Sagen wir einfach, Sie wechseln in den Sold einer anderen Verwaltung über.«

   9.
Paris
    2. April 1897, spätabends
     
    Seit ich dieses Tagebuch führe, bin ich in kein Restaurant mehr gegangen. Heute abend musste ich mich stärken und beschloss, an einen Ort zu gehen, wo jeder, dem ich begegnete, so betrunken sein würde, dass er mich, auch wenn ich ihn nicht erkenne, ebenfalls nicht erkennen würde. Es ist das Lokal von Père Lunette, nicht weit von hier in der Rue des Anglais, das seinen Namen von dem enormen pince-nez oder Kneifer hat, der über dem Eingang prangt, man weiß nicht, seit wann und warum.
    Eher als richtig essen kann man hier knabbern: Käsehäppchen zum Beispiel, die sie einem gratis hinstellen, um den Durst zu steigern. Denn hauptsächlich wird hier getrunken und gesungen – soll heißen, es singen die hiesigen »Artisten«, Fifi l’Absinthe, Armand le Guélard, Gaston Trois-Pattes. Der erste Raum ist ein langer Gang, zur Hälfte der Länge nach mit einer Theke gefüllt, hinter der Wirt und Wirtin sich tummeln und ein kleines Kind schläft, mitten zwischen dem Gebrüll und Gelächter der Gäste. An der Wand gegenüber der Theke zieht sich ein langes Bord hin, an das man sich lehnen oder auf dem man sein Glas abstellen kann, nachdem man es sich geholt hat. Auf einem Regal hinter der Theke prangt die schönste Sammlung von Hochprozentigem, die in Paris zu finden ist. Aber die wahren Gäste gehen in den hinteren Raum, wo an zwei Tischen die Betrunkenen schlafen, Schulter an Schulter aneinandergelehnt. Alle Wände sind vollgekritzelt, meist mit obszönen Zeichnungen.
    Heute abend habe ich mich neben eine Frau gesetzt, die damit beschäftigt war, ihren soundsovielten Absinth zu süffeln. Sie kam mir bekannt vor, sie war mal Zeichnerin für illustrierte Blätter gewesen und hat sich dann immer mehr gehen lassen, vielleicht weil sie weiß, dass sie schwindsüchtig ist und nicht mehr lange zu leben hat. Jetzt bietet sie den Gästen an, sie für ein Gläschen zu porträtieren, aber inzwischen zittert ihr die Hand. Wenn sie Glück hat, wird die Schwindsucht sie nicht erlegen, weil sie vorher auf dem Nachhauseweg nachts in die Bièvre fällt.
    Ich habe ein paar Worte mit ihr gewechselt (seit zehn Tagen lebe ich so in meiner Höhle vergraben, dass ich sogar im Gespräch mit einer Frau Trost finden kann), und bei jedem Gläschen, das ich ihr anbot, konnte ich nicht umhin, auch eins für mich zu nehmen.
    So kommt es, dass ich jetzt mit getrübter Sicht und benebeltem Hirn schreibe: ideale Bedingungen, um sich wenig und schlecht zu erinnern.
     
    Ich weiß nur noch, dass ich bei meiner Ankunft in Paris zuerst etwas beunruhigt war (kein Wunder,

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