Die historischen Romane
einläuteten. Auf der Weltausstellung hatte Alfred Krupp eine Kanone von nie gesehenen Dimensionen gezeigt, fünfzig Tonnen schwer, hundert Pfund Pulver pro Geschoss. Der Kaiser war so begeistert davon, dass er Krupp den Orden der Ehrenlegion verlieh, aber als Krupp ihm dann den Katalog seiner Waffen schickte, die er allen europäischen Staaten zu verkaufen bereit war, überredeten die französischen Oberkommandierenden den Kaiser, das Angebot abzulehnen, da sie ihre eigenen Rüstungslieferanten vorzogen. Unterdessen hatte – natürlich – der König von Preußen zugeschlagen.
Doch Napoleon war nicht mehr so wie früher: Seine Nierensteine behinderten ihn beim Essen und Schlafen, zu schweigen vom Reiten; er glaubte den Konservativen und seiner Frau, die überzeugt waren, dass die französische Armee noch immer die beste der Welt sei, während sie – aber das erfuhr man erst später – nur noch höchstens hunderttausend Mann aufzubieten hatte, gegen vierhunderttausend Preußen. Und Stieber hatte schon in seinen Berichten nach Berlin über die Chassepots geschrieben, dass die Franzosen sie immer noch für den letzten Schrei in Sachen Gewehre hielten, während sie in Wahrheit so veraltet seien, dass sie bald nur noch für die Museen taugten. Außerdem, freute sich Stieber, hätten die Franzosen keinen dem deutschen vergleichbaren Nachrichtendienst aufgezogen.
Aber zurück zu meinem Bericht. Ich traf also Lagrange an dem verabredeten Punkt.
»Capitaine Simonini«, begann er ohne alle Förmlichkeiten, »was wissen Sie über den Abbé Dalla Piccola?«
»Nichts. Warum?«
»Er ist verschwunden, und das, während er einen kleinen Auftrag für uns erfüllte. Meines Wissens sind Sie der letzte gewesen, der ihn gesehen hat: Sie hatten mich um ein Treffen mit ihm gebeten, und ich hatte ihn zu Ihnen geschickt. Was ist dann geschehen?«
»Dann habe ich ihm denselben Bericht gegeben, den ich bereits den Deutschen gegeben hatte, damit er ihn gewissen kirchlichen Kreisen zeigt.«
»Simonini, vor einem Monat erhielt ich von dem Abbé ein Schreiben, in dem sinngemäß stand: Ich muss Sie so bald wie möglich sehen, ich habe Ihnen etwas Interessantes über Ihren Simonini zu erzählen. Nach dem Ton dieses Schreibens war es nichts Gutes, was er mir über Sie erzählen wollte. Also, was ist zwischen Ihnen beiden geschehen?«
»Ich weiß nicht, was er Ihnen sagen wollte. Vielleicht hielt er es für einen Fehlgriff meinerseits, dass ich ihm ein Dokument angeboten hatte, von dem er dachte, dass ich es für Sie angefertigt hätte. Er war offenbar nicht über unsere Verabredung auf dem laufenden. Mir hat er jedenfalls nichts gesagt. Ich habe ihn nicht wiedergesehen, ja ich hatte mich sogar schon gefragt, was aus meinem Vorschlag geworden war.«
Lagrange sah mich eine Weile stumm an, dann sagte er: »Wir sprechen darüber noch«, und ging davon.
Da gab es nicht viel zu besprechen. Lagrange würde mir von jetzt an auf den Fersen bleiben, und sollte er wirklich einen genaueren Verdacht schöpfen, dann würde mir der berühmte Dolchstoß in den Rücken sicher sein, obwohl ich den Abbé am Reden gehindert hatte.
So traf ich einige Vorsichtsmaßnahmen. Ich begab mich zu einem Waffenhändler in der Rue de Lappe und fragte nach einem Dolchstock. Er hatte einen, aber von sehr schlechter Qualität. Da fiel mir ein, dass ich in meiner geliebten Passage Jouffroy ein Schaufenster mit Dolchstöcken gesehen hatte, und dort fand ich tatsächlich einen sehr schönen, mit elfenbeinernem Griff in Form einer Schlange und Ebenholzrohr, sehr elegant – und robust. Der Griff ist nicht besonders geeignet, sich darauf zu stützen, wenn man ein schmerzendes Bein hat, denn obwohl leicht gebogen, ist er doch eher vertikal als horizontal; aber er funktioniert trefflich, wenn es darum geht, den Stock wie einen Degen zu führen.
Ein Dolchstock ist eine Wunderwaffe, auch wenn man vor jemandem steht, der eine Pistole hat: Du tust so, als wärst du erschrocken, weichst zurück und streckst den Stock vor, am besten mit zitternder Hand. Der andere lacht und greift nach dem Stock, um ihn dir wegzuziehen, dabei hilft er dir, die Klinge zu zücken, die spitz und sehr scharf ist, und während er noch verdutzt mit dem leeren Rohr in der Hand dasteht, stößt du blitzschnell zu und versetzt ihm fast ohne Anstrengung einen Hieb, der von der Schläfe bis zum Kinn geht, womöglich durch die Nase, und auch wenn du ihm kein Auge ausgestochen hast, wird das Blut, das ihm
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