Die historischen Romane
achtet darauf. Jedesmal, wenn Sie nützliche Informationen haben, schreiben Sie eine Nachricht, und der Alte lässt eine Taube fliegen. Und jeden Morgen gehen Sie zu ihm und fragen, ob Instruktionen für Sie gekommen sind. Ganz einfach, nicht?«
»Was für Informationen interessieren Sie denn?«
»Wir wissen noch nicht genau, was uns in Paris interessieren könnte. Einstweilen kontrollieren wir die Gegenden, wo die Front verläuft. Aber früher oder später, wenn wir gesiegt haben, werden wir uns für Paris interessieren. Und folglich brauchen wir Nachrichten über Truppenbewegungen, über An- oder Abwesenheit der kaiserlichen Familie, über die Stimmung der Bürger, kurz, über alles und nichts, es liegt bei Ihnen, sich als nützlich zu erweisen. Es könnte sein, dass wir an Karten interessiert sind, und jetzt werden Sie mich fragen, wie man Landkarten am Hals einer Taube befestigen kann. Kommen Sie mit in das Stockwerk unter uns.«
Im Stockwerk unter dem Dach befand sich ein weiterer Mann in einem Fotolabor und ein kleiner Saal mit einer weißgetünchten Wand und einem jener Projektoren, wie man sie auf Jahrmärkten als Laterna magica kennt, die Bilder auf Wände oder große Laken werfen.
»Dieser Herr nimmt eine Nachricht von Ihnen, egal wie groß sie ist und wie viele Seiten sie hat, fotografiert sie und verkleinert sie auf ein Blatt mit Kollodiumemulsion, das mit der Taube verschickt wird. Am Bestimmungsort wird die Nachricht wieder vergrößert und das Bild an die Wand geworfen. Und dasselbe geschieht hier, wenn wir zu lange Nachrichten erhalten. Aber jetzt wird die Luft hier zu dick für einen Preußen, ich verlasse Paris heute abend. Wir hören voneinander per Briefchen am Hals von Tauben, wie zwei Verliebte.«
Der Gedanke machte mich schaudern, worauf hatte ich mich bloß eingelassen, verflixt nochmal, und alles nur, weil ich einen Abbé umgebracht hatte! Und was passiert mit den vielen Generälen, die Tausende von Menschen umbringen?
So waren wir in den Krieg gelangt. Lagrange gab mir ab und zu eine Nachricht, die ich dem Feind zukommen ließ, aber wie Goedsche gesagt hatte, die Preußen interessierten sich nicht besonders für Paris und wollten fürs erste viel dringender wissen, wie viele Truppen Frankreich im Elsass, in Saint-Privat, in Beaumont und in Sedan hatte.
Bis zum Beginn der Belagerung lebte man in Paris noch fröhlich. Im September wurde dann die Schließung aller Theater und Cabarets verordnet, sei’s um am Drama der Frontsoldaten teilzunehmen, sei’s um auch noch die Feuerwehrleute an die Front schicken zu können, aber nach wenig mehr als einem Monat wurde der Comédie-Française erlaubt, Wohltätigkeitsvorstellungen zu geben, um die Familien der Gefallenen zu unterstützen, sei’s auch in Sparversion ohne Heizung und mit Kerzen anstelle der Gaslaternen, danach fingen auch einige Vorstellungen im Théâtre de l’Ambigu, im Théâtre de la Porte Saint-Martin, im Châtelet und im Athénée wieder an.
Die schwierigen Tage begannen im September mit der Tragödie von Sedan. Nach Napoleons Kapitulation und Gefangennahme brach das Kaiserreich zusammen, und ganz Frankreich geriet in einen quasi (wieder quasi) revolutionären Erregungszustand. Die Republik wurde ausgerufen, doch in den republikanischen Reihen selbst rangen, wenn ich richtig verstanden hatte, zwei Seelen miteinander: Die eine wollte die Niederlage als Gelegenheit zu einer sozialen Revolution nutzen, die andere war bereit, mit den Preußen Frieden zu schließen, um nicht jene Reformen hinnehmen zu müssen, die – wie es hieß – zu einem echten und astreinen Kommunismus führen würden.
Mitte September waren die Preußen vor den Toren von Paris angelangt, sie besetzten die Forts, die es hätten verteidigen sollen, und beschossen die Stadt. Es folgten vier Monate härtester Belagerung, in denen der größte Feind allmählich der Hunger wurde.
Politische Umtriebe häuften sich, Aufmärsche zogen kreuz und quer durch die Stadt, ich verstand wenig und interessierte mich noch weniger dafür, in solchen Zeiten treibt man sich besser nicht zuviel draußen herum. Aber das Essen, das war mein Problem, ich informierte mich täglich bei den Lebensmittelhändlern im Viertel, um zu wissen, was uns bevorstand. Wenn man durch die öffentlichen Parks wie den Jardin du Luxembourg ging, hatte man zu Anfang noch den Eindruck, die Stadt lebte inmitten von Viehherden, denn Schafe und Rinder waren massenhaft in
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