Die historischen Romane
die Stadt geholt worden. Aber schon im Oktober hieß es, es gebe nur noch fünfundzwanzigtausend Ochsen und hunderttausend Hammel, was natürlich niemals reichen würde, um eine Metropole zu ernähren.
Tatsächlich fing man in einigen Häusern schon an, die Goldfische zu braten, alle Pferde, die nicht von der Armee gebraucht wurden, landeten in den Rossschlachtereien, ein Scheffel Kartoffeln kostete dreißig Francs, und in der Pâtisserie Boissier gab es für fünfundzwanzig eine Büchse Linsen. Von Kaninchen war weit und breit keine Spur zu sehen, und die Metzgereien hatten keine Hemmungen mehr, erst schöne wohlgenährte Katzen und dann Hunde anzubieten. Sämtliche exotischen Tiere im Jardin des Plantes wurden geschlachtet, und zu Weihnachten gab es bei Voisin für Leute, die es bezahlen konnten, ein Schlemmermenü mit Elefantenconsommé, Kamelbraten à l’anglaise, geschmortem Känguruh, Bärenkotelett mit Sauce Poivrade, Antilopenterrine mit Trüffeln und Katze mit Weiße-Mäuschen-Beilage – denn inzwischen gab es nicht nur auf den Dächern keine Spatzen mehr, sondern sogar in den Kloaken kaum noch Mäuse und Ratten.
Das Kamel ging ja noch, das war gar nicht mal schlecht, aber Ratten, nein. Auch in Zeiten der Belagerung finden sich Schmuggler und Aufkäufer, die Vorräte horten, und ich erinnere mich an ein denkwürdiges (sündhaft teures) Diner nicht in einem der großen Restaurants, sondern in einer Kneipe fast am Stadtrand, wo ich mit einigen Privilegierten (nicht immer aus der besten Pariser Gesellschaft, aber in solchen Notlagen werden die Kastenunterschiede vergessen) Fasan und frische Gänseleberpastete genoss.
Ende Januar wurde ein Waffenstillstand mit den Deutschen geschlossen, die dann im März eine symbolische Besetzung der Stadt vornehmen durften – und ich muss sagen, es war auch für mich ziemlich demütigend anzusehen, wie sie da mit ihren Pickelhauben über die Champs-Élysées defilierten. Danach zogen sie sich an den nordöstlichen Rand der Stadt zurück und überließen der französischen Regierung die Kontrolle der südwestlichen Zone, das heißt die Forts von Ivry, Montrouge, Vanves, Issy und vor allem das schwerbefestigte Fort auf dem Mont-Valérien, von dem aus man (wie die Preußen bewiesen hatten) leicht den Westteil der Stadt bombardieren konnte.
Die Preußen überließen Paris der Regierung Thiers, aber die Nationalgarde, die jetzt schwer zu kontrollieren war, hatte bereits die über zweihundert Kanonen, die mit einer öffentlichen Subskription angeschafft worden waren, beschlagnahmt und nach Montmartre verbracht. Thiers schickte General Lecomte, sie zurückzuholen, und der ließ zunächst auf die Nationalgarde und in die Volksmenge schießen, aber am Ende liefen seine Soldaten zu den Aufständischen über, und Lecomte wurde von seinen eigenen Männern gefangengenommen. Inzwischen hatte jemand, ich weiß nicht wo, einen anderen General erkannt, Clément Thomas, den man aus den Repressionen von 1848 in keiner guten Erinnerung hatte. Außerdem trug er auch noch Zivil, vielleicht weil er sich gerade davonmachen wollte, aber alle sagten, er habe die Kommunarden ausspionieren wollen. Man brachte ihn dahin, wo schon Lecomte wartete, und beide wurden erschossen.
Thiers zog sich mit seiner ganzen Regierung nach Versailles zurück, und Ende März wurde in Paris die Kommune ausgerufen. Jetzt war es die französische Regierung (in Versailles), die Paris belagerte und vom Mont-Valérien aus bombardierte, während die Preußen zuschauten, ja sich sogar ziemlich nachsichtig zeigten, wenn jemand ihre Linien passierte, so dass Paris während dieser zweiten Belagerung mehr Nahrungsmittel als während der ersten hatte – von den eigenen Landsleuten ausgehungert, wurde es indirekt von den Feinden beliefert. Und wenn jemand die Deutschen mit den Franzosen der Regierung Thiers verglich, dachte und raunte er schon mal, dass diese Sauerkrautfresser doch letzten Endes gute Christen waren.
Kurz bevor sich die Regierung nach Versailles zurückzog, bekam ich ein Billet von Goedsche, der mir schrieb, dass die Preußen sich jetzt nicht mehr für die Geschehnisse in Paris interessierten und die Taubenstation sowie das Fotolabor daher aufgelöst würden. Doch am selben Tag bekam ich Besuch von Lagrange, der aussah, als hätte er erraten, was Goedsche mir geschrieben hatte.
»Lieber Simonini«, sagte er, »Sie sollten für uns tun, was Sie für die Preußen getan haben: uns auf dem laufenden
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