Die historischen Romane
halten. Ich habe diese beiden Elenden, die mit Ihnen gearbeitet haben, schon verhaften lassen. Die Tauben sind in ihre Heimatschläge zurückgekehrt, aber das Fotolabor können wir gut gebrauchen. Wir hatten für schnelle militärische Informationen eine Taubenverbindung zwischen Fort d’Issy und einer Dachkammer ebenfalls in der Nähe von Notre-Dame. Von dort werden Sie Ihre Informationen an uns schicken.«
»An ›uns‹? Wen meinen Sie damit? Sie waren doch, wie man wohl sagen kann, ein Mann der kaiserlichen Polizei, Sie hätten mit Ihrem Kaiser verschwunden sein müssen. Mir scheint jedoch, dass Sie jetzt wie ein Emissär der Regierung Thiers sprechen.«
»Capitaine Simonini, ich gehöre zu denen, die bleiben, auch wenn die Regierungen wechseln. Ich folge jetzt meiner Regierung nach Versailles, denn wenn ich hierbliebe, könnte es mir so ergehen wie Lecomte und Thomas. Diese Überkandidelten sind mit dem Erschießen schnell bei der Hand. Aber wir werden ihnen Gleiches mit Gleichem vergelten. Wenn wir etwas Genaueres wissen wollen, erhalten Sie detailliertere Anweisungen.«
Etwas Genaueres… Leicht gesagt, wo jetzt an jedem Punkt der Stadt andere Dinge geschahen, Truppen der Nationalgarde zogen mit Blumen in den Gewehrläufen und roten Fahnen durch dieselben Viertel, in denen brave Bürger in ihren Häusern eingeschlossen auf die Rückkehr der legitimen Regierung warteten, bei den gewählten Abgeordneten der Kommune wusste man nicht, weder aus den Zeitungen noch aus dem Gerede auf den Märkten, wer auf welcher Seite stand, es gab unter ihnen Arbeiter, Ärzte, Journalisten, moderate Republikaner und erbitterte Sozialisten bis hin zu richtigen Jakobinern, die von einer Rückkehr nicht bloß zur Kommune von 1789, sondern zu der des Terrors von 93 träumten. Aber die allgemeine Atmosphäre auf den Straßen war die einer großen Freude. Hätten die Männer nicht Uniformen getragen, hätte man an ein großes Volksfest denken können. Die Soldaten amüsierten sich mit einem Wurfspiel, das in Turin sussi hieß und das sie hier jouer au bouchon nennen, die Offiziere spazierten stolzgeschwellt umher und brüsteten sich vor den Mädchen.
Heute morgen ist mir eingefallen, dass ich unter meinen alten Sachen auch eine Schachtel mit Zeitungsausschnitten von damals haben müsste, die mir jetzt helfen zu rekonstruieren, was mein Gedächtnis allein nicht mehr schafft. Es waren Blätter aller Richtungen, Le Rappel , Le Reveil du Peuple , La Marseillaise , Le Bonnet Rouge , Paris Libre , Le Moniteur du Peuple und andere mehr. Wer sie las, weiß ich nicht, vielleicht bloß diejenigen, die sie schrieben. Ich kaufte sie alle, um zu sehen, ob sie etwas enthielten, was für Lagrange interessant sein könnte.Wie konfus die Lage war, begriff ich erst richtig, als ich eines Tages in der konfusen Menge einer ebenso konfusen Demonstration Maurice Joly entdeckte. Er erkannte mich nicht gleich wegen meines Bartes, aber dann erinnerte er sich meiner als eines Carbonaro oder so etwas in der Art und hielt mich für einen Kommunarden. Ich war für ihn ein freundlicher und großherziger Gefährte im Unglück gewesen, und so nahm er mich unter den Arm, führte mich zu seiner Wohnung (ein sehr bescheidenes Appartement am Quai Voltaire) und erzählte mir bei einem Gläschen Grand Marnier, wie es ihm ergangen war.
»Simonini«, sagte er, »nach Sedan habe ich an den ersten republikanischen Aktivitäten teilgenommen, ich habe für die Fortsetzung des Krieges demonstriert, aber dann ist mir klar geworden, dass diese Extremisten zuviel wollten. Die Kommune von 1793 hatte Frankreich vor der Invasion gerettet, aber manche Wunder kommen nicht zweimal in der Geschichte vor. Die Revolution kann man nicht per Dekret verkünden, sie kommt aus dem Bauch des Volkes. Frankreich leidet seit zwanzig Jahren an einem moralischen Wundbrand, das lässt sich nicht in zwei Tagen kurieren. Dieses Land ist nur fähig, seine besten Söhne zu kastrieren. Ich habe zwei Jahre im Gefängnis gelitten, weil ich mich gegen Bonaparte gestellt hatte, und als ich rauskam, habe ich keinen Verleger gefunden, der meine neuen Bücher publizieren wollte. Sie werden sagen, das war ja auch noch im Kaiserreich. Aber nach dem Fall des Kaiserreiches hat diese republikanische Regierung mich vor Gericht gestellt, weil ich Ende Oktober an einer friedlichen Besetzung des Hôtel de Ville teilgenommen hatte. Gut, ich bin freigesprochen worden, weil man mir keinerlei Gewaltanwendung nachweisen
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