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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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wiederzusehen, der sie als Kind vergewaltigt hat. Vielleicht haben Sie Abbildungen von Berninis Skulptur der Heiligen Teresa gesehen, die in der Kirche Santa Maria della Vittoria in Rom steht: Sie würden sie nicht von dieser Unglückseligen unterscheiden können. Eine Mystikerin ist eine Hysterikerin, die ihrem Beichtvater begegnet ist, bevor sie ihren Arzt gefunden hat.«
    Unterdessen hatte Diana die Haltung einer Gekreuzigten angenommen und war in eine neue Phase eingetreten, in der sie anfing, dunkle Drohungen auszustoßen, ohne dass zu erkennen war, gegen wen, und schreckliche Enthüllungen anzukündigen, wobei sie sich heftig im Bett hin und her warf.
    »Lassen wir sie schlafen«, sagte Du Maurier. »Wenn sie aufwacht, wird sie in den anderen Zustand eingetreten sein und sich Vorwürfe machen wegen der schrecklichen Dinge, die gesagt zu haben sie sich erinnern wird. Bitte sagen Sie Ihren frommen Damen, dass sie nicht erschrecken sollen, wenn solche Krisen eintreten. Es genügt, die Kranke festzuhalten und ihr ein Taschentuch in den Mund zu stopfen, damit sie sich nicht die Zunge abbeißt, aber es wird auch nicht schaden, ihr ein paar Tropfen eines Beruhigungsmittels einzuträufeln, das ich Ihnen geben werde.«
    Dann fügte er hinzu: »Tatsache ist, dass man diese Patientin von den anderen getrennt halten muss. Und ich kann sie hier nicht länger behalten, dies ist kein Gefängnis, sondern eine Heil- und Pflegeanstalt, die Patienten laufen umher, und es ist nützlich, ja therapeutisch unverzichtbar, dass sie miteinander reden und den Eindruck haben, ein normales und heiteres Leben zu führen. Meine Patienten sind keine Verrückten, sie sind nur Personen mit zerrütteten Nerven. Dianas Krisen können die anderen beeindrucken, und was sie ihnen in ihrem ›bösen‹ Zustand anzuvertrauen pflegt, ist, ob es stimmt oder nicht, für alle verstörend. Ich hoffe, Ihre frommen Damen haben die Möglichkeit, sie zu isolieren.«
    Mein Eindruck nach dieser Begegnung war: Sicher wollte der Doktor seine Patientin Diana loswerden, er verlangte, dass sie praktisch wie eine Gefangene gehalten wurde, und fürchtete, dass sie Kontakte mit anderen Patienten hatte. Aber das war noch nicht alles, er fürchtete auch, dass jemand ihre Reden ernst nehmen könnte, und darum hob er vorsorglich beide Hände und erklärte, es handle sich um das Delirium einer Geisteskranken.
     
    * * *
     
    Ich hatte seit ein paar Tagen das Haus in Auteuil gemietet. Nichts Besonderes, aber behaglich. Man trat in das typische Wohnzimmer einer bürgerlichen Familie, ein mahagonifarbenes Sofa, bezogen mit altem Utrecht-Samt, rote Damastvorhänge, eine Pendeluhr mit kleinen Säulen auf dem Kamin, flankiert von zwei Blumenvasen unter Glasglocken an den beiden Enden, eine Konsole vor einem Spiegel und ein glänzend gebohnerter Parkettboden. Daneben ein Schlafzimmer, das ich für Diana bestimmt hatte: die Wände mit einem perlgrauen Moiree bespannt, vor dem Bett ein dicker Teppich mit großen roten Rosetten; die Vorhänge am Bett und am Fenster aus demselben Stoff, dessen Eintönigkeit von breiten violetten Streifen durchbrochen wurde. An der Wand über dem Bett hing ein Mehrfarbendruck, der ein verliebtes Hirtenpärchen zeigte, und auf einem Wandbord stand eine Pendeluhr mit Intarsien aus Kunstedelsteinen, flankiert von zwei pausbäckigen Putten, die einen Lilienstrauß in Form eines Kandelabers hielten.
    Im Oberstock gab es zwei weitere Schlafzimmer. Das eine war für eine halb taube Alte vorgesehen, die gern zur Flasche griff und den Vorteil hatte, nicht aus der Gegend zu sein und alles zu tun, um sich ein paar Francs zu verdienen. Ich weiß nicht mehr, wer sie mir empfohlen hatte, aber sie schien mir ideal, um auf Diana aufzupassen, wenn niemand anders im Hause war, und sie zu beruhigen, wenn sie einen ihrer Anfälle bekam.
    Übrigens fällt mir gerade ein, während ich dies schreibe, dass die Alte seit einem Monat nichts mehr von mir gehört haben dürfte. Vielleicht hatte ich ihr genügend Geld zum Leben dagelassen, aber für wie lange? Ich sollte rasch mal nach Auteuil fahren, aber gerade merke ich, dass ich die Adresse nicht mehr weiß. Auteuil wo? Ich kann doch nicht von Haus zu Haus laufen und fragen, ob hier eine palladistische Hysterikerin mit Persönlichkeitsspaltung wohnt.
     
    * * *
     
    Im April hatte Taxil öffentlich seine Bekehrung verkündet, und schon im November war sein erstes Buch mit spektakulären Enthüllungen über die Freimaurerei

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