Die historischen Romane
Visionär, der bei seinen Auftritten ein langes weißes Gewand trug, auf dem ein rotes Kreuz verkehrt herum aufgemalt war, sowie ein Diadem mit indischem Phallussymbol. Wenn er predigte, erhob er sich in die Luft und versetzte seine Anhänger in Ekstase. Während seiner Liturgie fingen die Hostien an zu bluten, aber es gab Stimmen, die von homosexuellen Praktiken sprachen, von Ordination von Liebespriesterinnen und von Erlösung durch das freie Spiel der Sinne, also lauter Dingen, zu denen Boullan sich ohne Zweifel hingezogen fühlte. So kam es, dass er nach Vintras’ Tod sich zu dessen Nachfolger ausrief.
Nach Paris kam er mindestens einmal im Monat. Er konnte es gar nicht glauben, dass er jemanden wie Diana aus dämonologischer Sicht studieren durfte (um sie auf die beste Weise zu exorzieren, sagte er, aber inzwischen wusste man, wie er zu exorzieren pflegte). Er war schon über sechzig, aber noch ein kraftvoller Mann mit einem Blick, den als magnetisch zu bezeichnen ich nicht umhinkann.
Boullan hörte aufmerksam zu, was Diana erzählte – und was Taxil mit religiöser Inbrunst aufschrieb –, doch er schien andere Ziele zu verfolgen, und bisweilen raunte er der Kranken Anstachelungen oder Ratschläge ins Ohr, von denen wir nichts mitbekamen. Gleichwohl war er uns nützlich, denn unter den Geheimnissen der Freimaurerei, die es zu enthüllen galt, waren natürlich auch das Erdolchen geweihter Hostien und die verschiedenen Formen von schwarzer Messe, und darin war Boullan eine Autorität. Taxil notierte sich die verschiedenen dämonischen Riten, und je mehr seiner Bücher erschienen, desto mehr verbreitete er sich über diese Liturgien, die seine Freimaurer auf Schritt und Tritt praktizierten.
* * *
Nachdem er in kurzer Folge einige Bücher veröffentlicht hatte, war das wenige, was Taxil über die Freimaurer wusste, allmählich erschöpft. Neue Ideen bekam er nur von der »bösen« Diana geliefert, wenn sie unter Hypnose erwachte und mit weit aufgerissenen Augen von Szenen berichtete, die sie vielleicht erlebt hatte oder von denen sie in Amerika hatte reden hören oder die sie sich einfach bloß ausdachte. Es waren Geschichten, die einem den Atem stocken ließen, und ich muss sagen, obwohl ich ein erfahrener Mann bin (stelle ich mir vor), war ich von ihnen schockiert. So sprach sie zum Beispiel eines Tages von der Initiation ihrer Feindin, Sophie Walder oder Sophia Sapho, und es war nicht klar, ob sie sich des inzestuösen Beigeschmacks der ganzen Szene bewusst war, jedenfalls erzählte sie sie nicht in tadelndem Ton, sondern mit der Erregung einer, die das Privileg hatte, sie mitzuerleben.
»Es war ihr Vater«, begann Diana langsam, »der sie einschlafen ließ und ihr ein glühendes Eisen auf die Lippen legte… Er musste sicher sein, dass der Körper vor jedem äußeren Angriff geschützt war. Sie trug eine Halskette mit einem Anhänger, einer zusammengerollten Schlange… Da, jetzt nimmt der Vater sie ihr ab, öffnet einen Korb, holt eine lebendige Schlange heraus und legt sie auf ihren Bauch… Die Schlange ist wunderschön, es sieht aus, als ob sie tanzt, während sie sich zu Sophies Hals hinaufwindet und sich dort zusammenrollt, um den Platz des Anhängers einzunehmen… Jetzt ringelt sich die Schlange zum Gesicht empor, streckt die Zunge heraus, nähert sie züngelnd ihren Lippen und küsst sie zischend. Oh, wie ist das… herrlich… schlüpfrig… Jetzt erwacht Sophie, sie hat Schaum vor dem Mund, sie steht auf und bleibt reglos stehen wie eine Statue, der Vater knöpft ihr Korsett auf und legt ihre Brüste frei! Und jetzt scheint er ihr mit einem Stab eine Frage auf die Brust zu schreiben, und die Buchstaben schneiden sich rot in ihr Fleisch, und die Schlange, die eingeschlafen zu sein schien, erwacht zischend und bewegt den Schwanz, um mit ihm, immer auf Sophies nackter Haut, die Antwort zu schreiben.«
»Woher weißt du diese Dinge, Diana?« fragte ich sie.
»Ich weiß sie aus meiner Zeit in Amerika… Mein Vater hatte mich in den Palladismus eingeführt. Dann bin ich nach Paris gekommen, vielleicht wollte ich weg… In Paris bin ich der Sophia Sapho begegnet. Sie war immer meine Feindin. Als ich nicht tun wollte, was sie von mir verlangte, hat sie mich zu Dr. Du Maurier gebracht. Mit der Behauptung, ich sei verrückt.«
* * *
Ich bin bei Dr. Du Maurier, um Dianas Spur zurückzuverfolgen: »Sie müssen verstehen, Doktor, meine Kongregation kann dieser jungen Frau
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