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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Rechte wie die eingeborenen Bevölkerungen hätten. Irrtum, erklärt Dostojewski. Selbst wenn die Juden gleiche Rechte wie die anderen Bürger hätten, würden sie niemals die anmaßende Idee aufgeben, dass eines Tages ein Messias kommen und ihnen mit seinem Schwert alle Völker zu Füßen legen werde. Deswegen ziehen die Juden eine einzige Tätigkeit vor, den Handel mit Gold und Juwelen; so fühlen sie sich bei der Ankunft des Messias nicht an das Land gebunden, das sie beherbergt hat, und können bequem alles mitnehmen, was sie besitzen, wenn – wie Dostojewski poetisch schreibt – dereinst im Osten die Morgenröte erstrahlt und das auserwählte Volk mit Zimbeln und Pauken und Flöten, mit Silber und Gold und seinen Heiligtümern wieder in sein altes Haus einzieht.«
    »In Frankreich ist man zu nachsichtig mit ihnen gewesen«, schloss Toussenel, »und jetzt beherrschen sie die Börsen und sind die Herren des Kreditwesens. Deshalb kann der Sozialismus nicht umhin, antisemitisch zu sein… Es ist kein Zufall, dass die Juden in Frankreich genau im selben Augenblick siegten wie die neuen Prinzipien des Kapitalismus, die von jenseits des Ärmelkanals kamen.«
     
     
     
    »Sie simplifizieren die Dinge zu sehr, Monsieur Toussenel«, sagte die Glinka. »In Russland sind unter den Anhängern der revolutionären Ideen dieses Marx, den Sie so loben, auch viele Juden. Sie sind überall.«
    Bei den letzten Worten drehte sie sich zu den Fenstern des Salons, als wollte sie nachsehen, ob sie mit ihren Dolchen schon an der nächsten Straßenecke warteten. Und Simonini dachte schaudernd, von einer plötzlichen Wiederkehr seiner kindlichen Ängste gepackt, an den alten Mordechai, der nachts sabbernd die Treppe heraufkam.
     
    Arbeit für die Ochrana
    In der Glinka hatte Simonini sofort eine mögliche Kundin erkannt. Er begann damit, sich neben sie zu setzen und ihr diskret den Hof zu machen – wozu er sich einen gewissen Ruck geben musste. Er war kein guter Richter in Fragen der weiblichen Reize, aber er hatte immerhin bemerkt, dass sie ein Mardergesicht mit zu eng an der Nasenwurzel stehenden Augen hatte, während Juliette Adam, wenngleich nicht mehr die strahlende Schönheit, die er vor zwanzig Jahren kennengelernt hatte, noch eine Dame von imposanter Gestalt und attraktiver Majestät war.
    Daher verausgabte sich der Gute bei der Glinka nicht allzusehr und hörte lieber ihren Phantasien zu, indem er so tat, als interessierte er sich dafür, dass die Dame einmal in Würzburg die Vision eines Gurus vom Himalaya gehabt haben wollte, der sie in wer weiß welche Offenbarung eingeführt hatte. Sie war einfach eine Person, der er antijüdisches Material anbieten konnte, das zu ihren esoterischen Neigungen passte. Zumal ein Gerücht besagte, dass Juliana Glinka eine Nichte von General Orshejewski sei, einem führenden Kopf der russischen Geheimpolizei, der sie zur Ochrana gebracht habe, der geheimen »Sicherheitsabteilung« des Zarenreiches – und dass sie in dieser Funktion mit Pjotr Ratschkowski zu tun habe, dem neuen, in Paris residierenden Chef aller Ochrana-Aktivitäten außerhalb Russlands (wobei unklar blieb, ob sie seine Untergebene oder Mitarbeiterin oder direkte Konkurrentin war). Die linke Zeitung Le Radical hatte den Verdacht geäußert, Madame Glinka verdiene sich ihren Lebensunterhalt mit der systematischen Denunziation von Exilrussen – was bedeutete, dass sie nicht nur im Salon von Juliette Adam verkehrte, sondern auch in anderen Kreisen, die Simonini nicht kannte.
    Er musste also die Szene auf dem Prager Friedhof den Vorlieben der Glinka anpassen, indem er die langatmigen Passagen über ökonomische Projekte herausnahm und stattdessen auf den mehr oder weniger messianischen Aspekten der Rabbinerreden insistierte.
    Nachdem er sich ein wenig bei Gougenot und ähnlichen Autoren jener Zeit umgeschaut hatte, ließ Simonini die Rabbiner über die Wiederkehr des von Gott auserwählten Herrschers als König von Israel phantasieren, dem es bestimmt sei, alle Ruchlosigkeiten der Gojim auszumerzen. So fügte er mindestens zwei Seiten messianische Phantasmagorien in die Geschichte vom Friedhof ein, Passagen wie: »Mit aller Macht und Schrecklichkeit Satans nähert sich das Reich des siegreichen Königs von Israel unserer nicht regenerierten Welt. Der aus dem Blute Zions geborene König, der Anti-Christ, nähert sich dem Thron der Weltmacht.« Doch in Anbetracht des Umstandes, dass in zaristischen Kreisen jeder republikanische

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