Die historischen Romane
Gedanke Schrecken auslösen würde, fügte er hinzu, dass nur ein republikanisches System mit Volksabstimmung den Juden die Möglichkeit geben würde, durch Bestechung der Mehrheit diejenigen Gesetze einzuführen, die ihren Zwecken dienten. Nur diese Trottel von Gojim meinen, sagten die Rabbiner auf dem Friedhof, dass es in einer Republik größere Freiheit gebe als in einer Autokratie, während es sich gerade umgekehrt verhält, denn in einer Autokratie regieren die Weisen und in einem liberalen Regime der Pöbel, der sich leicht von den Juden aufhetzen lässt. Wie die Republik mit einem König der Welt zusammenleben könnte, war nicht schwer zu beantworten: Die Geschichte Napoleons III. hatte doch gezeigt, dass Republiken sehr wohl Autokraten und Kaiser hervorbringen können.
Eingedenk der Erzählungen seines Großvaters kam Simonini jedoch auf die Idee, die Reden der Rabbiner mit einer langen Passage über die Funktionsweise der verborgenen Weltregierung anzureichern. Seltsamerweise bemerkte die Glinka dann nicht, dass es sich um dieselben Argumente wie bei Dostojewski handelte – oder vielleicht bemerkte sie es doch und zog daraus den Schluss, dass hier offensichtlich ein uralter Text die Ansichten Dostojewskis bestätigte und sich damit als authentisch erwies.
So wurde auf dem Friedhof von Prag enthüllt, dass die kabbalistischen Juden die Kreuzzüge angestiftet hatten, um Jerusalem die Würde des Mittelpunktes der Welt wiederzugeben, wozu sie sich auch (und hier konnte Simonini auf ein sehr reiches Schrifttum zurückgreifen) der unvermeidlichen Templer bedienten. Schade nur, dass dann die Araber die Kreuzzügler ins Meer zurückgejagt hatten und die Templer das bekannte böse Ende nahmen, sonst wäre der Plan schon einige Jahrhunderte früher gelungen.
In dieser Perspektive erinnerten die Rabbiner in Prag daran, wie der Humanismus, die Französische Revolution und der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg zur Unterminierung der Prinzipien des Christentums und des Respekts vor den Thronen beigetragen hatten, um die jüdische Welteroberung vorzubereiten. Natürlich mussten die Juden sich eine respektable Fassade verschaffen, und so erfanden sie die Freimaurerei.
Simonini hatte sich geschickt bei dem alten Barruel bedient, den die Glinka und ihre russischen Auftraggeber offenbar nicht kannten, und tatsächlich hielt es General Orshejewski, dem die Glinka den Bericht geschickt hatte, für opportun, daraus zwei Texte zu machen: einen kürzeren, der mehr oder weniger der originalen Szene auf dem Prager Friedhof entsprach und in mehreren russischen Zeitschriften veröffentlicht wurde – wobei man vergaß (oder annahm, dass es die Leser vergessen würden oder tatsächlich nicht wussten), dass eine »Rede des Rabbiners«, die aus dem Roman von Goedsche entnommen war, schon mehrere Jahre zuvor in St. Petersburg zirkulierte und später auch in dem Antisemiten-Katechismus von Theodor Fritsch erschienen war. Der zweite Text erschien als Pamphlet unter dem Titel Taina Jewrejstwa (»Das Geheimnis der Judenheit«) mit einem Vorwort von Orshejewski selbst, in dem er schrieb, in diesem endlich ans Licht gekommenen Text zeigten sich zum ersten Mal die tiefen Beziehungen zwischen Freimaurerei und Judentum, die beide den Nihilismus verträten (was im damaligen Russland eine schwere Anschuldigung war).
Selbstredend erhielt Simonini von Orshejewski ein angemessenes Honorar, und die Glinka erschien pünktlich (gefürchtet und furchterregend), um ihren Körper als Lohn für diese wunderbare Unternehmung anzubieten – ein Graus, vor dem Simonini floh, indem er mit eindrucksvoll zitternden Händen und vielen jungfräulichen Seufzern erklärte, sein Los sei nicht unähnlich dem jenes armen Octave de Malivert, über den sich seit Jahrzehnten alle Leser Stendhals in Klatsch und Tratsch ergingen.
Von diesem Moment an war die Glinka nicht mehr an Simonini interessiert – und er nicht mehr an ihr. Aber eines Tages, als er ins Café de la Paix kam, um ein einfaches déjeuner à la fourchette zu sich zu nehmen (Kotelett und gegrillte Niere), traf er sie an einem Tisch, wo sie mit einem korpulenten und ziemlich vulgär aussehenden Menschen saß, mit dem sie in offensichtlich erregtem Zustand diskutierte. Er blieb stehen, um sie zu begrüßen, und die Glinka konnte nicht umhin, ihm Monsieur Ratschkowski vorzustellen, der ihn interessiert ansah.
Im ersten Moment hatte Simonini die Gründe für dieses Interesse nicht verstanden, aber ein
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