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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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die es sehr gut verstehen, ein Dokument herzustellen, aber ich muss ihnen Inhalte geben. Und ich kann dem guten russischen Untertan nicht erzählen, dass die Juden den Messias erwarten, das interessiert weder den Muschik noch den Gutsbesitzer. Wenn sie den Messias erwarten, muss das den Leuten mit einem Bezug auf ihre Taschen erklärt werden.«
    »Aber warum zielen Sie gerade auf die Juden?«
    »Weil es in Russland so viele Juden gibt. Wäre ich in der Türkei, würde ich auf die Armenier zielen.«
    »Also wollen Sie, dass die Juden vernichtet werden, so wie – vielleicht kennen Sie ihn – Osman-Bey?«
    »Osman-Bey ist ein Fanatiker – und übrigens selber ein Jude. Zu dem halten wir lieber Distanz. Ich will die Juden nicht vernichten, ich würde sogar sagen, die Juden sind meine besten Verbündeten. Ich bin daran interessiert, die Moral des russischen Volkes aufrechtzuerhalten, und ich wünsche nicht – beziehungsweise die Personen, die ich zu befriedigen suche, wünschen nicht –, dass dieses Volk seine Unzufriedenheiten gegen den Zaren kehrt. Also braucht es einen Feind. Nun wäre es sinnlos, den Feind unter, was weiß ich, den Mongolen oder Tataren zu suchen, wie es die Autokraten früherer Zeiten getan haben. Damit der Feind erkennbar und furchterregend ist, muss er im Hause sein oder jedenfalls an der Schwelle des Hauses. Deswegen die Juden. Die göttliche Vorsehung hat sie uns gegeben, also benutzen wir sie doch, Herrgottnochmal, und beten wir dafür, dass es immer ein paar Juden gibt, die man fürchten und hassen kann. Wir brauchen einen Feind, um dem Volk eine Hoffnung zu geben. Jemand hat gesagt, der Patriotismus sei die letzte Zuflucht der Kanaillen – wer keine moralischen Prinzipien hat, wickelt sich gewöhnlich in eine Fahne, und die Bastarde berufen sich stets auf die Reinheit ihrer Rasse. Die nationale Identität ist die letzte Ressource der Entrechteten und Enterbten. Doch das Identitätsgefühl gründet sich auf den Hass, Hass auf den, der nicht mit einem identisch ist. Daher muss man den Hass als zivile Leidenschaft kultivieren. Der Feind ist der Freund der Völker. Man braucht immer jemanden zum Hassen, um sich im eigenen Elend gerechtfertigt zu fühlen. Hass ist die wahre Ur-Leidenschaft. Liebe ist eine Ausnahmesituation. Deswegen haben sie Christus umgebracht: Er sprach wider die Natur. Man kann nicht jemanden das ganze Leben lang lieben, aus dieser unmöglichen Hoffnung entstehen Ehebruch, Muttermord, Freundesverrat… Dagegen kann man jemanden sehr wohl das ganze Leben lang hassen. Vorausgesetzt, er ist immer da, um unseren Hass zu schüren. Hass wärmt das Herz.«
     
    Drumont
    Nach diesem Gespräch war Simonini ein bisschen besorgt. Ratschkowski hatte es offenbar ernst gemeint, und wenn er kein wirklich neues Material bekäme, würde er »böse« werden. Nicht, dass Simonini seine Quellen schon ausgeschöpft hätte, im Gegenteil, er hatte ja viele Blätter für seine multiplen Protokolle gesammelt, aber ihm schien, dass noch etwas hinzukommen müsste, nicht bloß diese Geschichten mit dem Antichrist, die gut für Leute wie die Glinka waren, sondern etwas, das mehr in die gegenwärtige Zeitstimmung passte. Mit einem Wort, er wollte seinen aktualisierten Prager Friedhof nicht ausverkaufen, sondern im Gegenteil seinen Preis erhöhen. Und darum wartete er.
    Er sprach mit Pater Bergamaschi darüber, der ihn seinerseits bedrängte, mehr Antifreimaurer-Material zu beschaffen.
    »Sieh dir dieses Buch an«, sagte der Jesuit. »Es heißt La France Juive und ist von Édouard Drumont. Hunderte von Seiten über die Juden in Frankreich. Da haben wir mal einen, der offenbar mehr über das Thema weiß als du.«
    Simonini blätterte kurz in dem Buch und rief: »Aber das sind ja dieselben Sachen, die der alte Gougenot schon vor über fünfzehn Jahren geschrieben hatte!«
    »Na wenn schon. Dieses Buch hat reißenden Absatz gefunden, offensichtlich kennen seine Leser den alten Gougenot nicht. Und meinst du etwa, dein russischer Kunde hätte Drumont schon gelesen? Bist du nicht der Meister der Wiederverwertung? Also geh hin und informiere dich, was sie in diesem Milieu sagen und tun.«
    Mit Drumont in Kontakt zu treten war nicht schwer. Im Salon Adam hatte sich Simonini mit Alphonse Daudet angefreundet, der ihn zu den abendlichen Treffen einlud, die an Tagen, an denen der Salon Adam nicht an der Reihe war, in seinem Hause in Champrosay stattfanden. Huldvoll empfangen von Julia Daudet, trafen sich dort

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