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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Léon Daudet, der zu Recht als ebenso reaktionär galt, wie sein Vater Alphonse als aufrichtiger Demokrat betrachtet wurde – doch beide, das sei zum Lob der Dame gesagt, waren in ihrem Salon willkommen.
    Auch war nicht klar, woher die antijüdischen Polemiken kamen, die sich oft durch die Gespräche im Salon zogen. Aus dem sozialistischen Hass auf den jüdischen Kapitalismus, den besonders Toussenel repräsentierte, oder aus dem mystischen Antisemitismus, den die eng mit dem russischen Okkultismus verbundene Juliana Glinka einbrachte, eingedenk der Riten des brasilianischen Candomblé, in die sie als junges Mädchen in Rio de Janeiro eingeführt worden war, wo ihr Vater als Diplomat diente, und die als enge Vertraute von Madame Blavatsky galt, der großen Pythia des Okkultismus jener Jahre?
    Das Misstrauen, das Juliette Adam gegenüber der jüdischen Welt hegte, war unverkennbar. Einmal hatte Simonini einen Abend miterlebt, an dem aus Texten des russischen Schriftstellers Dostojewski gelesen wurde, der offensichtlich Kenntnis von dem hatte, was jener Brafmann, dem Simonini vor Jahren begegnet war, über den großen Kahal zu berichten wusste.
    »Dostojewski schreibt über die Juden: so viele Male verloren sie ihr Territorium, ihre politische Unabhängigkeit, ihre Gesetze, fast sogar ihren Glauben, und jedesmal fanden sie wieder zusammen, jedesmal noch vereinter als vorher – ein so vitales, so ungewöhnlich starkes und energisches Volk konnte gar nicht existieren ohne einen ideellen Staat über den realen Staaten zu haben, einen status in statu , den es sich immer und überall zu bewahren wusste, selbst in Zeiten fürchterlichster tausendjähriger Zerstreuung und Verfolgung. Er besteht darin, dass sie sich gegenüber den Völkern, unter denen sie lebten, isolierten und abschotteten, sich nicht mit ihnen vermischten und sich an ein Grundprinzip hielten, das da lautet: ›Selbst wenn Du zerstreut wirst über das Antlitz der Erde, lass dich nicht beirren, glaube trotzdem an alles, was dir verheißen, glaube unabänderlich daran, dass sich alles erfüllen wird, bis dahin aber lebe, verabscheue, sei einig, beute aus und – warte, warte…‹«
    »Dieser Dostojewski ist ein großer Meister der Rhetorik«, kommentierte Toussenel. »Sehen Sie, wie er zuerst Verständnis und Sympathie für die Juden äußert, ja ihnen seine Hochachtung ausdrückt: ›Bin etwa auch ich ein Feind der Juden? Kann es sein, dass ich ein Feind dieser unglücklichen Rasse bin? Nein, im Gegenteil, ich sage und schreibe ja gerade, dass alles, was Humanität und Gerechtigkeit erfordern, alles, was Menschlichkeit und das christliche Gesetz erforden, für die Juden getan werden muss…‹ Schöne Prämisse. Aber dann beschreibt Dostojewski ausführlich, wie diese unglückliche Rasse darauf abzielt, die christliche Welt zu zerstören. Brillante rhetorische Volte. Nicht neu, vielleicht haben Sie das Kommunistische Manifest von Marx gelesen. Es beginnt mit einem formidablen Theatercoup: ›Ein Gespenst geht um in Europa…‹, dann folgt eine in kühnen Strichen skizzierte Geschichte der sozialen Kämpfe vom antiken Rom bis heute, und was Marx dabei über die Bourgeoisie als revolutionäre Klasse schreibt, lässt einem den Atem stocken. Er zeigt uns, wie diese unaufhaltsame neue Kraft ›über die ganze Erdkugel jagt‹, als wäre sie der schöpferische Odem Gottes am Anfang der Genesis . Und am Ende dieser Eloge – die, ich schwöre es Ihnen, wirklich voller Bewunderung ist – treten plötzlich die unterirdischen Kräfte auf den Plan, die der bourgeoise Triumph heraufbeschworen hat: Der Kapitalismus erzeugt aus sich selbst heraus, als sein ureigenstes Produkt, seinen eigenen Totengräber, das Proletariat. Das nun voller Stolz verkündet: Jetzt wollen wir euch zerstören und uns alles aneignen, was euer war. Wunderbar. Und genauso macht es Dostojewski mit den Juden: Erst rechtfertigt er ihr Komplott, das ihr Überleben in der Geschichte garantiert, und dann prangert er sie als die Feinde an, die es zu vernichten gilt. Dostojewski ist ein echter Sozialist.«
    »Nein, er ist kein Sozialist«, widersprach Juliana Glinka lächelnd. »Er ist ein Visionär, und darum sagt er die Wahrheit. Sehen Sie nur, wie er auch das scheinbar vernünftigste Argument vorwegnimmt, nämlich dass, auch wenn es im Laufe der Jahrhunderte einen Staat im Staate gegeben hat, es die Verfolgungen waren, die ihn erzeugt haben, und er sich auflösen würde, wenn die Juden gleiche

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