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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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paar Tage später schon, als er die Klingel seines Ladens läuten hörte und Ratschkowski persönlich vor ihm stand. Mit breitem Lächeln und gebieterischer Nonchalance schritt der Mann durch den Laden, stieg die Treppe hinauf ins Studio und setzte sich bequem auf einen Sessel neben dem Schreibtisch.
    »Wenn ich Sie bitten darf«, sagte er, »sprechen wir von Geschäften.«
    Blond wie ein Russe, wenn auch leicht angegraut wie ein Mann jenseits der Dreißiger, hatte Ratschkowski fleischig-sinnliche Lippen, eine vorspringende Nase, Augenbrauen wie ein slawischer Teufel, ein herzliches Katerlächeln und eine honigsanfte Sprechweise. Ähnlicher einem Gepard als einem Löwen, notierte Simonini – und fragte sich, ob es weniger besorgniserregend wäre, nachts von Osman-Bey ans Ufer der Seine bestellt zu werden oder morgens von Ratschkowski in sein Büro in der russischen Botschaft an der Rue de Grenelle. Er entschied sich für Osman-Bey.
    »Also, Capitaine Simonini«, begann Ratschkowski, vielleicht wissen Sie nicht so genau, was diese Organisation ist, die Sie im Westen fälschlich Ochrana nennen und die von den russischen Emigranten verächtlich Ochranka genannt wird.«
    »Ich habe davon raunen gehört.«
    »Kein Grund zum Raunen, alles liegt offen zutage. Es handelt sich um die Ochrannoje Otdelenie , die Sicherheitsabteilung, den Dienst für vertrauliche Nachrichten, der unserem Innenministerium untersteht. Sie wurde 1881 nach dem Attentat auf Zar Alexander II. gegründet, um die kaiserliche Familie zu schützen. Aber dann musste sie sich immer mehr um die Bedrohung durch den nihilistischen Terrorismus kümmern und auch verschiedene Abteilungen im Ausland einrichten, wo sich des Landes Verwiesene und Emigranten tummeln. Deswegen befinde ich mich hier, im Interesse meines Landes. Im offenen Tageslicht. Verbergen tun sich die Terroristen. Verstehen Sie?«
    »Verstehe. Aber was soll ich…?«
    »Gehen wir der Reihe nach vor. Sie sollten sich nicht fürchten, mir ihr Herz auszuschütten, wenn Sie zufällig etwas über terroristische Gruppen erfahren. Ich habe gehört, dass Sie seinerzeit die französischen Sicherheitsdienste auf gefährliche Antibonapartisten hingewiesen haben, und denunzieren kann man nur Freunde oder jedenfalls Personen, mit denen man häufig Umgang hat. Ich bin kein Naivling, auch ich hatte zu meiner Zeit Kontakte mit russischen Terroristen, tempi passati , aber gerade deshalb habe ich in den antiterroristischen Diensten Karriere gemacht, in denen nur diejenigen reüssieren, die mit den radikalen Gruppen aus einer Schüssel gegessen haben. Um dem Gesetz kompetent zu dienen, muss man es verletzt haben. Hier in Frankreich hatten Sie das Beispiel Ihres Vidocq, der erst Polizeichef geworden war, nachdem er im Knast gesessen hatte. Misstrauen Sie Polizisten, die… wie soll ich sagen… zu sauber sind. Sie sind Lackaffen. Aber zurück zu uns. In letzter Zeit haben wir erkannt, dass sich unter den Terroristen auch einige jüdische Intellektuelle befinden. Im Auftrag einiger Personen am Hofe des Zaren versuche ich zu zeigen, dass die Juden dabei sind, die Moral des russischen Volkes zu untergraben und sogar sein Überleben zu bedrohen. Sie werden gehört haben, dass ich als ein Protegé des Ministers Witte gelte, der im Ruf steht, ein Liberaler zu sein, und dass er mir bei dieser Thematik kein Gehör schenken würde. Aber merken Sie sich, man darf nie bloß seinem aktuellen Herrn dienen, man muss sich immer schon auf dessen Nachfolger vorbereiten. Kurz, ich will keine Zeit verlieren. Ich habe gesehen, was Sie der Madame Glinka gegeben haben, und bin zu dem Schluss gekommen, dass es zum großen Teil Schrott ist. Klar, Sie haben sich als Deckung den Beruf eines Trödlers gewählt, also eines, der gebrauchte Ware teurer als neue verkauft. Aber vor Jahren haben Sie dem Contemporain brandheiße Dokumente zum Druck gegeben, die Sie von Ihrem Großvater hatten, und es würde mich wundern, wenn Sie nicht noch mehr davon hätten. Es heißt, Sie wüssten über viele Dinge sehr vieles…« (Bei diesen Worten dachte Simonini wieder einmal an die Vorteile seines Projekts, eher für einen Spion gehalten zu werden als einer zu sein.) »Daher wünsche ich mir von Ihnen glaubhaftes Material. Ich weiß die Spreu vom Weizen zu unterscheiden. Aber wenn ich schlechtes Material bekomme, werde ich böse. Klar?«
    »Was wollen Sie denn genau?«
    »Wenn ich das wüsste, würde ich Sie nicht bezahlen. Ich habe in meinem Dienst Leute,

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