Die historischen Romane
präsentierten ihn seine Getreuen als feinsinnigen Edelmann (er war Marquis), der Zauberbücher voller Pentagramme sammelte, Werke von Lullus und Paracelsus, Manuskripte seines Lehrers in weißer und schwarzer Magie, Eliphas Lévi, und andere hermetische Schriften von erlesener Rarität. Seine Tage verbrachte er, so hieß es, in einer kleinen Parterrewohnung an der Avenue Trudaine, wo er nur Okkultisten empfing und manchmal wochenlang nicht ausging. Doch anderen zufolge kämpfte er in diesen Räumen gegen ein Phantom, das er in einem Schrank gefangenhielt, und sah, mit Alkohol und Morphium vollgepumpt, die Gespenster lebendig werden, die er in seinen Delirien erzeugte.
Dass er sich in sinistren Disziplinen bewegte, zeigen die Titel seiner Essais de sciences maudites , in denen er die luziferischen oder luziferianischen, satanischen oder satanesken, diabolischen oder diabolesken Intrigen Boullans anprangert, den er als einen pervertierten Satanisten darstellt, welcher »die Unzucht zur liturgischen Praxis erhoben« habe.
Die Geschichte war alt, schon 1887 hatten Guaita und seine Anhänger ein »initiatisches Tribunal« einberufen, das Boullan verurteilt hatte. War das nur eine moralische Verurteilung gewesen? Boullan behauptete seit langem, er sei auch physisch verurteilt worden, und fühlte sich ständig attackiert, durchbohrt, von okkulten Strömen verletzt, von unsichtbaren Speeren, die Guaita und seine Leute auch aus großer Entfernung auf ihn schleuderten.
Und nun fühlte er sich am Ende.
»Jeden Abend, genau in dem Augenblick, wenn ich einschlafe, verspüre ich Hiebe, Faustschläge, Ohrfeigen – und das ist keine Täuschung meiner kranken Sinne, glauben Sie mir, denn im selben Augenblick heult meine Katze auf, als sei sie von einem elektrischen Schlag getroffen worden. Ich weiß, dass Guaita eine Wachsfigur modelliert hat, in die er mit einer Nadel sticht, und dann empfinde ich stechende Schmerzen. Ich habe versucht, ihm mit einem Gegenzauber zu antworten, der ihn blind machen soll, aber Guaita hat es bemerkt, er ist in diesen Künsten besser als ich, und hat den Zauber gegen mich umgekehrt. Meine Augen trüben sich, mein Atem geht schwer, ich weiß nicht, wie lange ich noch leben werde…«
Wir waren nicht sicher, dass er uns die Wahrheit sagte, aber darum ging es nicht. Der Ärmste litt wirklich. Und da hatte Taxil eine seiner genialen Ideen: »Stellen Sie sich tot«, sagte er, »lassen Sie durch Getreue verbreiten, Sie seien auf einer Reise nach Paris gestorben, kehren Sie nicht nach Lyon zurück, suchen Sie sich in Paris eine Zuflucht, rasieren Sie sich den Bart ab, und werden Sie ein anderer. Machen Sie es wie Diana, erwachen Sie als ein anderer, aber bleiben Sie dann im Unterschied zu Diana der andere und warten Sie, bis Guaita und seine Leute Sie für tot halten und aufhören, Sie zu quälen.«
»Und wie lebe ich, wenn ich nicht mehr in Lyon bin?«
»Leben Sie hier bei uns in Auteuil«, schlug ich vor, »jedenfalls bis das Gröbste vorbei ist und Ihre Feinde entlarvt sind. In letzter Zeit benötigt Diana immer mehr Hilfe, da können Sie uns als Dauergast nützlicher sein denn als gelegentlicher Besucher.«
»Aber wenn Sie treue Freunde haben«, fügte Taxil hinzu, »schreiben Sie ihnen, bevor Sie sich totstellen, Briefe voller Vorahnungen Ihres Todes, und beschuldigen Sie unmissverständlich Guaita und Péladan, damit Ihre untröstlichen Anhänger eine Kampagne gegen Ihre Mörder entfesseln.«
So geschah es. Die einzige Person, die wir einweihten, war Madame Thibault, Boullans Assistentin, Priesterin, Vertraute (und vielleicht noch mehr), die seinen Pariser Freunden eine erschütternde Beschreibung seines Todeskampfes gab – wie sie es seinen Getreuen in Lyon beibrachte, weiß ich nicht, vielleicht ließ sie einen leeren Sarg beerdigen. Kurz darauf wurde sie als Gouvernante bei einem Freund und posthumen Verteidiger Boullans, dem modischen Schriftsteller Huysmans eingestellt – und ich bin sicher, dass sie an manchen Abenden, wenn ich nicht in Auteuil war, ihren alten Komplizen besuchen kam.
Als die Nachricht von Boullans Tod bekannt wurde, blies der Journalist Jules Bois im Gil Blas zur Attacke auf Guaita und beschuldigte ihn der Hexerei und des Mordes an Boullan, während der Figaro ein Interview mit Huysmans brachte, der ausführlich in allen Einzelheiten erklärte, wie Guaitas Hexerei funktioniert hatte. Bois setzte nach und verlangte im Gil Blas eine Autopsie der
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