Die historischen Romane
mir noch entgehen, könnte es sein, dass jemand es für angebracht hält, einen gefährlichen Zeugen wie Sie zu beseitigen. Darum betrifft Sie die Sache aus der Nähe.«
Ich hätte mich niemals mit Militärs einlassen dürfen. Ich fühlte mich unbehaglich. Aber dann erklärte mir Esterházy, was er von mir wollte. Er gab mir einen Brief des italienischen Militärattachés Panizzardi als Schriftprobe und den Text eines Briefes, den ich fabrizieren sollte, in dem Panizzardi den deutschen Militärattaché auf die Zusammenarbeit mit Dreyfus ansprach.
»Major Henry wird sich darum kümmern, dieses Dokument zu finden und General Gonse zukommen zu lassen«, schloss Esterházy.
Ich tat meine Arbeit, Esterházy übergab mir 1000 Francs, und was dann geschah, weiß ich nicht, aber Ende 96 wurde Picquart zum Vierten Scharfschützenregiment nach Tunesien versetzt.
Doch genau zu der Zeit, als ich damit beschäftigt war, Taxil auszuschalten, scheint Picquart Freunde mobilisiert zu haben, und nun wurden die Dinge komplizierter. Natürlich handelte es sich um offiziöse Nachrichten, die den Zeitungen zugespielt wurden, die dreyfusardischen (das waren nur wenige) meldeten sie als gesichert, während die anti-dreyfusardischen sie als Verleumdungen abtaten. Es waren Telegramme an Picquart aufgetaucht, aus denen man schloss, dass er der Autor des berüchtigten Telegramms aus der deutschen Botschaft an Esterházy gewesen sei. Soweit ich verstanden habe, handelte es sich um einen Schachzug von Esterházy und Henry. Ein schönes Ping-Pong-Spiel, bei dem es nicht nötig war, Anklagen zu erfinden, da es genügte, die Anklagen des Gegners gegen ihn zu kehren. Herrgottnochmal, Spionage und Gegenspionage sind zu ernste Dinge, als dass man sie den Militärs überlassen dürfte, Profis wie Lagrange und Hébuterne hätten nie solch einen Pfusch angerichtet, aber was kann man schon von Leuten erwarten, die heute gut für den Nachrichtendienst und morgen gut für die Vierte Scharfschützenkompanie in Tunesien sind oder die von den päpstlichen Zuaven zur Fremdenlegion wechseln?
Zudem hatte ihm der letzte Schachzug wenig genützt, gegen Esterházy war eine Untersuchung eröffnet worden. Was, wenn er, um sich von jedem Verdacht zu befreien, erzählen würde, dass ich das Bordereau geschrieben hatte?
* * *
Ein Jahr lang habe ich schlecht geschlafen. Jede Nacht hörte ich Geräusche im Haus, war versucht, aufzustehen und in den Laden hinunterzugehen, aber ich fürchtete, einem Russen zu begegnen.
* * *
Im Januar dieses Jahres gab es einen Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit, in dem Esterházy von allen Anklagen und jedem Verdacht freigesprochen wurde. Picquart wurde zu sechzig Tagen Festungshaft verurteilt. Aber die Dreyfusards lassen nicht locker, ein eher vulgärer Schriftsteller wie Zola hat einen feurigen Anklageartikel (»J’accuse!«) geschrieben, eine Gruppe von Möchtegernschriftstellern und angeblichen Wissenschaftlern hat sich eingemischt und verlangt die Revision des Prozesses. Wer sind diese Proust, France, Sorel, Monet, Renard, Durkheim? Nie im Salon Adam gesehen. Von diesem Proust heißt es, er sei ein fünfundzwanzigjähriger Päderast, dessen Schriften zum Glück unpubliziert sind, und Monet ist ein Farbenkleckser, von dem ich ein oder zwei Bilder gesehen habe, in denen er die Welt wie mit Triefaugen zu betrachten scheint. Was gehen einen Literaten und einen Maler die Entscheidungen eines Militärtribunals an? O armes Frankreich, wie Drumont immer klagt. Wenn diese sogenannten »Intellektuellen«, wie jener Anwalt hoffnungsloser Fälle, der Clemenceau ist, sie zu nennen pflegt, sich doch bloß um die wenigen Dinge kümmern würden, von denen sie etwas verstehen sollten!
Gegen Zola wurde ein Prozess eröffnet, in dem er glücklicherweise zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden ist. Es gibt noch eine Justiz in Frankreich, sagt Drumont, der im Mai zum Deputierten von Algier gewählt worden ist, so dass es nun eine schöne Gruppe von Antisemiten in der Kammer gibt, was hilfreich sein wird für die Verteidigung der antidreyfusardischen Thesen.
Alles schien gut zu werden, im Juli wurde Picquart zu acht Monaten Haft verurteilt, Zola ist nach London geflohen, ich dachte schon, dass jetzt niemand mehr den Fall wieder aufrühren könnte, als plötzlich ein Hauptmann Cuignet auftrat, um zu beweisen, dass der Brief, in dem Panizzardi Dreyfus der Kollaboration mit den Deutschen beschuldigte, eine Fälschung
Weitere Kostenlose Bücher