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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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zeige doch, dass er kein Spion sein könne, denn wenn überhaupt, hätte es nur für die 75er einen Sinn gehabt. Wie man hört, soll ihm sogar jemand eine Pistole hingelegt haben, als Einladung zum Selbstmord, um der Entehrung zu entgehen, die ihn erwartete. Auf diese Weise hätte man jedes Risiko eines öffentlichen Prozesses vermieden. Aber Dreyfus ist ein Dickschädel und hat darauf bestanden, sich zu verteidigen, weil er dachte, er könne seine Unschuld beweisen. Ein Offizier sollte nie denken. Im übrigen, wenn Sie mich fragen, von der 75er hatte der Unglückselige keine Ahnung, woher denn auch, solche Papiere kommen doch nicht auf den Tisch eines Anwärters. Aber Vorsicht kann nie schaden. Verstehen Sie? Wenn herauskäme, dass Sie das Bordereau fabriziert haben, würde das ganze Gebäude zusammenbrechen und die Deutschen würden begreifen, dass die 120er eine falsche Fährte war – schwer von Begriff mögen sie ja sein, die boches , aber so schwer nun auch wieder nicht. Vielleicht werden Sie jetzt sagen, in Wahrheit sind nicht nur die deutschen, sondern auch die französischen Nachrichtendienste in der Hand eines Haufens von Stümpern. Das ist evident, andernfalls würden diese Männer für die Ochrana arbeiten, die ein bisschen besser funktioniert und, wie Sie sehen, Informanten bei den einen wie den anderen hat.«
    »Aber Esterházy?«
    »Der ist ein Doppelagent, er tat so, als spioniere er Sandherr für die Deutschen der Botschaft aus, aber derweil spionierte er die Deutschen der Botschaft für Sandherr aus. Er gab sich viel Mühe, den Fall Dreyfus aufzuziehen, aber Sandherr hatte bemerkt, dass Esterházy sich zu weit vorgewagt hatte und dass die Deutschen anfingen, ihn zu verdächtigen. Sandherr wusste ganz genau, dass er Ihnen eine Handschriftenprobe von Esterházy gegeben hatte. Dreyfus sollte beschuldigt werden, aber wenn die Sache schief ging, würde es immer noch möglich sein, die Schuld auf Esterházy zu schieben. Natürlich hat Esterházy zu spät gemerkt, in welche Falle er gegangen war.«
    »Aber warum hat er dann nicht meinen Namen genannt?«
    »Weil man ihn dann der Lüge überführt hätte und er in einer Festung gelandet wäre, wenn nicht in einem Kanal. Während er so jetzt seelenruhig in London leben kann, mit einer guten Pension auf Kosten der Dienste. Ob man den Verrat weiter Dreyfus zuschreibt oder sich entschließt, Esterházy als den Verräter anzusehen, das Bordereau muss in jedem Fall echt bleiben. Niemand wird die Schuld einem Fälscher wie Ihnen geben. Sie sind gut abgesichert. Ich dagegen kann Ihnen viel Ärger machen wegen der Leichen da unten. Also heraus mit den Daten, die ich brauche. Übermorgen wird ein junger Mann zu Ihnen kommen, der für mich arbeitet, ein gewisser Golowinski. 22 Wir erwarten von Ihnen nicht, dass Sie die Originale fabrizieren, die müssen russisch geschrieben sein, und darum wird er sich kümmern. Sie sollen ihm nur Material liefern, neues, authentisches und überzeugendes, zur Ausstaffierung ihres alten Dossiers über den Prager Friedhof, das inzwischen Hinz und Kunz bekannt ist. Damit will ich sagen: dass der Ursprung der Enthüllungen eine Versammlung auf jenem Friedhof ist, soll mir schon recht sein, aber es muss offen bleiben, wann diese Versammlung stattgefunden hat, und es muss sich um aktuelle Themen handeln, nicht um mittelalterliche Phantastereien.«
    Ich musste mich sputen.
     
    * * *
     
    Mir blieben nur knapp zwei Tage und zwei Nächte, um die Hunderte von Notizen und Zeitungsausschnitten, die ich im Laufe meiner mehr als zehnjährigen Bekanntschaft mit Drumont gesammelt hatte, zu sichten und herzurichten. Dass es lauter Sachen waren, die alle schon in La Libre Parole gestanden hatten, machte mir keine Sorgen, denn für die Russen waren sie vielleicht neu. Aber es ging darum, eine passende Auswahl zu treffen. Diesen Golowinski und seinen Chef interessierte sicher nicht, ob die Juden mehr oder weniger unbegabt für Musik oder für Erkundungsexpeditionen waren. Interessanter war da schon der Verdacht, dass sie den wirtschaftlichen Ruin der braven Leute vorbereiteten.
    Ich überprüfte, was ich schon in den früheren Reden der Rabbiner verwendet hatte. Die Juden nahmen sich vor, die Eisenbahnen, die Bergwerke, die Hochöfen und Fabriken in ihre Gewalt zu bekommen, dazu die Verwaltung der Steuern und die Land- und Forstwirtschaft, sie hatten es auf die Justiz, die Advokatur und das Schulwesen abgesehen, sie wollten sich in die Philosophie

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