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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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war. Ich weiß nicht, wie er das behaupten konnte, denn ich hatte meine Arbeit perfekt wie immer gemacht. Jedenfalls schenkten die Generäle ihm Gehör, und da der Brief seinerzeit von Major Henry entdeckt und publik gemacht worden war, sprach man bald von einem »faux Henry«. Als Henry dann Ende August verhört wurde, gestand er und wurde auf dem Mont-Valérien eingesperrt, und am nächsten Tag schnitt er sich mit seinem Rasiermesser die Kehle durch. Wie ich schon sagte, bestimmte Dinge darf man nicht den Militärs überlassen: Wie kann man einen des Verrats Verdächtigen einsperren und ihm sein Rasiermesser lassen?
    »Henry hat sich nicht umgebracht. Er ist umgebracht worden! « behauptete Drumont wütend. »Es gibt noch zu viele Juden im Generalstab! Wir werden eine Subskription auflegen, um einen Prozess zur Rehabilitation Major Henrys zu finanzieren!«
     
     
     
    Jedoch vier oder fünf Tage später floh Esterházy nach Belgien und von dort weiter nach England. Fast ein Schuldeingeständnis. Die Frage war nur, warum er sich nicht verteidigt hatte, indem er die Schuld auf mich schob.
     
    * * *
     
    Von solchen Gedanken geplagt, hörte ich vorgestern nacht erneut Geräusche im Haus. Am nächsten Morgen fand ich nicht nur im Laden, sondern auch im Keller alles umgewühlt und die Falltür zur Kloake offen.
    Während ich noch überlegte, ob ich nicht auch fliehen sollte wie Esterházy, klingelte es an der Ladentür. Ratschkowski. Ohne erst lange hinaufzusteigen, setzte er sich gleich im Laden auf einen der Stühle, die dort zum Verkauf stehen für den unwahrscheinlichen Fall, dass Kunden nach so etwas fragen, und begann ohne Umschweife.
    »Was würden Sie sagen, wenn ich der Sûreté mitteile, dass hier unter Ihrem Keller vier Leichen liegen, mal ganz davon abgesehen, dass eine davon die eines meiner Männer ist, den ich seit langem suche? Ich bin es müde zu warten. Ich gebe Ihnen zwei Tage, um mir die Protokolle zu bringen, von denen Sie gesprochen haben, und dann vergesse ich, was ich da unten gesehen habe. Mir scheint, das ist ein fairer Pakt.«
    Dass Ratschkowski inzwischen alles über meine Kloake wusste, überraschte mich nicht mehr. Früher oder später würde ich ihm etwas geben müssen, also versuchte ich lieber noch rasch einen Vorteil aus dem Pakt zu ziehen, den er mir vorschlug. »Sie könnten mir helfen«, wagte ich zu erwidern, »ein Problem zu lösen, das ich mit dem Nachrichtendienst der Armee habe…«
    Er lachte auf: »Haben Sie Angst, man könnte entdecken, dass Sie der Autor des Bordereau sind?«
    Dieser Mann weiß wirklich alles. Er legte die Hände zusammen, wie um seine Gedanken zu sammeln, und versuchte es mir zu erklären.
    »Wahrscheinlich haben Sie nichts von dieser Sache verstanden und fürchten nur, dass jemand Sie hineinzieht. Beruhigen Sie sich. Ganz Frankreich hat ein Interesse daran, und zwar aus Gründen der nationalen Sicherheit, dass dieses Bordereau für echt gehalten wird.«
    »Wieso?«
    »Weil die französische Artillerie dabei ist, eine ganz neue Waffe zu entwickeln, die 75er-Kanone, und darum möchte sie, dass die Deutschen weiter glauben, die Franzosen seien immer noch mit der 120er beschäftigt. Die Deutschen sollten erfahren, dass ein Spion bereit war, ihnen die Geheimnisse der 120er zu verkaufen, damit sie glaubten, dies sei der wunde Punkt. Als Person mit gesundem Menschenverstand werden Sie jetzt einwenden, die Deutschen hätten doch sagen müssen: »Potztausend, wenn dieses Bordereau echt wäre, hätten wir doch etwas darüber wissen müssen, bevor wir es in den Papierkorb warfen!« Sie hätten das Blatt eigentlich verschlucken müssen. Und doch sind sie in die Falle gegangen, denn im Milieu der Geheimdienste sagt niemand den anderen alles, man denkt immer, der Schreibtischnachbar könnte ein Doppelagent sein, und wahrscheinlich haben sie sich gegenseitig beschuldigt: »Wie? Eine so wichtige Mitteilung war da eingetroffen, und nicht einmal der Militärattaché hat davon gewusst, obwohl sie an ihn adressiert war? Oder hat er es doch gewusst und geschwiegen?« Stellen Sie sich den Sturm von gegenseitigen Verdächtigungen vor, jemand sollte dafür büßen. Daher mussten einfach alle an die Echtheit des Bordereau glauben, und sie müssen es noch. Und darum musste Dreyfus möglichst schnell auf die Teufelsinsel geschickt werden, damit er nicht zu seiner Verteidigung vorbrachte, gerade dass er sich den Deutschen als Spion für die 120er-Kanone angeboten haben sollte,

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