Die historischen Romane
Welt geltend machen – und damit unversehens auch tatsächlich einen Einfluss auf das Publikum ausüben. Der protestantische Reflex unserer Kultur sieht instinktiv noch immer das Weltgericht als greifbar nah, unmittelbar bedrohend. So produziert Hollywood in jeder Saison mindestens einen Blockbuster, in dem ein einsamer Held die Welt vor einer schrecklichen Verschwörung retten muss, ein Format, das sich ungetrübter Beliebtheit erfreut, von Arnold Schwarzenegger als Terminator zu den James-Bond-Filmen und zu Star Wars , Hitchcocks North by Northwest und populären Fernsehserien wie The X-Files und 24. Verschwörungstheorien sind im Blutkreislauf unserer Kultur.
Das protestantische Erbe beherrscht einen Großteil der heutigen Verschwörungstheorien, aber nicht nur die Nachfolger von Luther und Zwingli hatten die Tendenz, überall dunkle Kabalen zu sehen. Während Protestanten der katholischen Kirche vorwarfen, als geheime und von innen her verrottete Macht die Erlösung der Seelen zu gefährden und die Angst vor dem Jüngsten Tag für diesseitige Machtinteressen zu instrumentalisieren, entwickelten Katholiken ihrerseits der neuen Häresie gegenüber Verdachtsmomente, die immer auch Hand in Hand mit politischen Interessen gingen. Was waren die abtrünnigen Christen anderes als eine Kabale gegen die Wahrheit des Schöpfers und die Macht der katholischen Prinzen? Waren nicht alle Ketzer mit dem Teufel im Bunde?
Am 24. August 1572 entluden sich das Misstrauen und der Hass der katholischen Bevölkerungsmehrheit in Frankreich in einem für den katholischen Hof ausgesprochen opportunen Massaker an französischen Hugenotten, das als Bartholomäusnacht in die Geschichte einging, ein Gemetzel, das sich auch auf die Provinzen ausweitete und bei dem bis zu 15.000 Protestanten ermordet wurden.
Die Bartholomäusnacht war ein schreckliches Pogrom gegen eine Minderheit, die auch weiterhin unter Generalverdacht blieb. In der kulturellen Ikonographie wurde sie mit anderen, meist progressiven Minderheiten identifiziert. Protestanten, Freidenker, Juden und Atheisten (die schlimmste Anschuldigung von allen) wurden aus identischen Gründen besonders in Frankreich zu Staatsfeinden erklärt, zur Bedrohung von Sitte und Ordnung, weltlicher und geistiger Macht.
Der katholische Bruderkrieg in Frankreich zwischen Jansenisten und Jesuiten sowie die Verfolgung aller freidenkerischen Tendenzen führte zusätzlich zu unendlich vielen wirklichen Intrigen und Komplotten, wie der berüchtigten Giftmischer-Affäre, die gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts den Königshof und die Öffentlichkeit erschütterte. Abweichende Meinungen und politische Diskussionen wurden mit großer Gewalt unterdrückt, aber auch Zensur und willkürliche Verhaftungen konnten den heimlichen Publikationen, klandestinen Bruderschaften und unausgesprochenen Allianzen keinen Einhalt gebieten, ganz zu schweigen von Einmischungen aus dem Exil, den Schriften eines Descartes, eines Pierre Bayle, La Mettrie oder Voltaire.
Im achtzehnten Jahrhundert war das katholische Frankreich ein idealer Nährboden für Verschwörungstheorien. Überall sahen Menschen verborgene Gegner, politische Coups, Denunziation und Heimtücke, die oft grausame Wirklichkeit wurden. 1761 wurde der Hugenotte Jean Calas beschuldigt, seinen Sohn erwürgt zu haben, um ihn am Übertritt zum Katholizismus zu hindern. Die Rache der Kirche, der die Hugenotten noch immer ein Dorn im Auge waren, traf den unschuldigen Vater mit aller Macht, und er wurde gerädert und dann auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Angeklagten, die des Atheismus beschuldigt wurden, ging es nicht besser.
So kam es, dass Dissidenten wie in jeder Diktatur im Verborgenen agieren mussten, als tatsächliche Verschwörer. Die atheistischen Manifeste des mutigen, ursprünglich aus Deutschland stammenden Baron d’Holbach wurden heimlich kopiert, außer Landes geschmuggelt, in Amsterdam unter Angabe eines falschen Autors, Publikationsortes und Datums gedruckt und dann in Heuballen, doppelbödigen Heringsfässern und Diplomatengepäck wieder nach Frankreich importiert. In seinem Salon traf sich ganz Europa, Philosophen und Wissenschaftler konnten hier offen debattieren. An die Außenwelt dringen durfte allerdings nichts, sonst wären die Gäste ihrer Freiheit und auch ihres Lebens nicht sicher gewesen.
Die radikalen Aufklärer um den Baron d’Holbach und seinen Freund Denis Diderot mussten sich nicht nur konspirativ verhalten, sie selbst sahen in
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