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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Gesten und Blicke allgemeinverständlicher sei als die der Worte, und sie beruhigte sich rasch wieder. Ja, sie lächelte ebenfalls und sagte ein paar leise Worte zu mir.
    Ich verstand zwar nur wenig von ihrem Dialekt, und in jedem Falle klang er recht anders als der, den ich ein wenig in Pisa gelernt hatte, aber dem Tonfall entnahm ich, dass es zärtliche Worte waren, und mir schien, als sagte sie etwas wie: »Du bist jung, du bist schön...« Selten geschieht es einem Novizen, der seine ganze Kindheit im Kloster verbracht hat, dass jemand ihm etwas über seine Schönheit sagt; im Gegenteil, meist wird man daran erinnert, dass Anmut und Jugend vergänglich sind und keiner besonderen Hochschätzung würdig. Doch mannigfach sind die Wege des Bösen, und ich gestehe, dass diese unvermutete Anspielung auf meine Wohlgestalt, wie hinfällig diese auch immer sein mochte, mir gar süß in den Ohren klang und ein unbändiges Gefühl in mir aufsteigen ließ. Zumal das Mädchen, um auch dies zu sagen, dabei seine Hand ausstreckte und mir mit den Fingerspitzen leicht über die Wange strich, die damals noch gänzlich bartlos war. Eine nie gekannte Lust überkam mich, doch ich verspürte dabei keinen Schatten von Sünde in meinem Herzen. So viel vermag zuweilen der Dämon, wenn er uns in Versuchung führen will und sich anschickt, die Spuren der Gnade aus unserer Seele zu tilgen.
    Was geschah mir? Was fühlte, was sah ich? Ich weiß nur, dass mir für meine Gefühle im ersten Augenblick jeder Ausdruck fehlte, denn es war meiner Zunge und meinem Geist nicht beigebracht worden, solche Empfindungen zu benennen. Allmählich stiegen dann andere Worte aus meinem Innern auf, Worte, die ich zu anderen Zeiten vernommen und die gewiss zu anderen Zwecken gesprochen waren, die mir jedoch wie durch ein Wunder im Einklang zu stehen schienen mit der Lust jenes Augenblicks, als wären sie konsubstantiell zu ihrem Ausdruck ersonnen. Worte, die sich in den tiefsten Zonen meiner Erinnerung festgesetzt hatten, stiegen herauf und sprangen mir auf die (stummen) Lippen, und ich vergaß, dass sie einst in der Schrift oder in den Büchern der Heiligen dazu gedient hatten, Wahrheiten und Empfindungen von ganz anderer Art auszudrücken. Aber gab es denn wirklich einen Unterschied zwischen dem hehren Entzücken, von welchem die Heiligen sprachen, und der heißen Lust, die meine erregte Seele in diesem Moment empfand? Ja, ich gestehe, in diesem Moment erlosch in mir der wache Sinn für die Differenz. Und das ist stets, so scheint mir, das Zeichen der Entrückung und des Sturzes in die Abgründe der Identität.
    Denn auf einmal erschien mir das Mädchen ganz wie die schwarze, aber schöne Jungfrau, von der das Hohelied Salomonis spricht. Sie war angetan mit einem verschlissenen Kleid aus grobem Stoff, das sich recht schamlos über ihren Brüsten öffnete, und sie trug um den Hals eine Kette aus buntbemalten und sicher sehr billigen Steinen. Doch stolz erhob sich ihr Kopf auf einem weißen Hals, der wie aus Elfenbein war, ihre Augen leuchteten hell wie die Teiche zu Hesbon, ihre Nase war wie ein Turm auf dem Libanon, ihr Haar wie der Purpur des Königs in Falten gebunden. Ja, ihr Haar erschien mir wie eine Herde Ziegen, die am Berge lagern, ihre Zähne erschienen mir wie eine Herde Schafe, die frisch aus der Schwemme kommen und allzumal Zwillinge haben, und: »Du bist schön, meine Freundin, schön bist du«, kam es mir auf die Lippen, »dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die gelagert sind am Berge Gilead hernieder, deine Lippen sind wie eine scharlachfarbene Schnur, deine Wangen sind wie der Ritz am Granatapfel zwischen deinen Zöpfen, dein Hals ist wie der Turm Davids, mit Brustwehr gebaut, daran tausend Schilde hangen und allerlei Waffen der Starken.« Und ich fragte mich ebenso hingerissen wie bang, wer diese da sein mochte, die da aufging vor mir wie die Morgenröte, schön wie der Mond, strahlend wie die Sonne, terribilis ut castrorum acies ordinata .
    Da trat sie noch einen Schritt näher zu mir, warf das Bündel, das sie bisher an ihre Brust gedrückt, in eine Ecke und hob von Neuem die Hand, mir die Wange zu streicheln, und wiederholte noch einmal die Worte, die ich bereits von ihr vernommen. Und während ich noch zögerte, ob ich nun fliehen oder näher herantreten sollte, und es mir in den Schläfen dröhnte, als bliesen alle Posaunen Josuas, um die Mauern Jerichos krachend zusammenstürzen zu lassen, und es mich ebenso drängte wie schauderte, sie

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