Die historischen Romane
Sechsunddreißig Quadratfuß, sagtest du, ist ein Trabucco?«
Der Cellerar war kein Dummkopf. Er begriff, dass es keinen Sinn mehr hatte, weiterhin Katz und Maus zu spielen, zumal er nun merkte, dass er selber die Maus war.
»Bruder William, ich sehe, dass du viel mehr weißt, als ich gedacht hatte. Verrate mich nicht, und ich werde dich auch nicht verraten. Ja, es ist wahr, ich bin ein erbärmlicher Sünder und erliege zuweilen den Verlockungen des Fleisches. Salvatore hat mir erzählt, dass er heute Nacht von dir oder deinem Novizen in der Küche überrascht worden ist. Du bist viel in der Welt herumgekommen, Bruder William, du weißt, dass nicht einmal die Kardinäle zu Avignon Muster an Tugend sind, und mir ist schon klar, dass du mich nicht wegen dieser erbärmlichen kleinen Sünden verhörst. Aber ich begreife auch, dass du etwas über mein früheres Leben erfahren hast. Es war ein sehr wirres Leben, wie es oft vorkam bei uns Minoriten. Ich glaubte einst an das Ideal der Armut und verließ die Gemeinschaft der Klosterbrüder, um ein freies Vagantenleben zu führen. Und wie viele meinesgleichen glaubte ich an die Predigt Dolcinos... Ich bin kein gebildeter Mann, ich habe zwar die Ordination empfangen, kann aber kaum die Messe lesen. Von Theologie verstehe ich wenig, und ich weiß nicht einmal, ob ich mich überhaupt für irgendeine Idee begeistern kann. Sieh mich an, einst habe ich versucht, gegen die Herrschaft zu rebellieren, und heute diene ich ihr, ich herrsche im Auftrag des Herrn dieser Länder über Leute wie mich! Rebellion oder Verrat, uns einfachen Leuten bleibt nicht viel Wahl.«
»Manchmal sehen die einfachen Leute klarer als die Gebildeten«, sagte William.
»Mag sein«, antwortete der Cellerar mit einem Achselzucken. »Aber mir ist nicht einmal klar, warum ich damals tat, was ich getan habe. Bei Salvatore war es verständlich, er kam von den Knechten der Scholle, aus einer Kindheit in Elend, Hunger und Not... und Dolcino bedeutete Rebellion, Zerschlagung der Herrschaft. Bei mir war es anders, ich kam aus einer städtischen Familie, ich floh nicht vor dem Hunger. Für mich war es eher... wie soll ich sagen... ein Fest der Verrückten und Narren, ein herrlicher Karneval... Auf den Bergen mit Dolcino, damals, bevor wir gezwungen waren, das Fleisch unserer gefallenen Genossen zu essen, bis dann so viele starben, dass wir sie gar nicht mehr alle aufessen konnten, sondern ihre Leichen den Vögeln und wilden Tieren zum Fraß vorwarfen an den Hängen des Monte Rebello... oder vielleicht sogar noch in diesen Momenten... atmeten wir eine Luft... kann ich sagen: der Freiheit? Ich hatte vorher nicht gewusst, was Freiheit war, die Prediger hatten uns immer gelehrt: ›Die Wahrheit macht euch frei!‹ Wir fühlten uns frei bei Dolcino und dachten, das sei die Wahrheit. Wir glaubten uns bei allem, was wir taten, im Recht...«
»Und so habt ihr angefangen, euch frei mit... Weibern zusammenzutun?« fragte ich vorlaut dazwischen; mich beschäftigten immer noch Ubertins Worte vom Abend zuvor und das, was ich dann im Skriptorium gelesen und anschließend selbst erlebt hatte. William sah mich neugierig an, er hatte wohl nicht erwartet, dass ich so kühn war, oder so unverschämt. Der Cellerar betrachtete mich wie ein seltenes Tier.
»Auf dem Monte Rebello«, sagte er, »gab es Leute, die während der ganzen Kindheit zu zehnt oder mehr in ein und demselben Raum geschlafen hatten, Brüder und Schwestern, Väter und Töchter. Was meinst du wohl, was die neue Lage für sie bedeutete? Sie taten aus freien Stücken, was sie zuvor aus Not getan... Und dann in der Nacht, wenn der Überfall feindlicher Truppen drohte und du dich eng an deinen Genossen drücktest auf dem blanken Boden, um die Kälte nicht so zu spüren... Häresie? Ach, ihr wohlbehüteten Mönche, die ihr aus Burgen und Schlössern kommt und euer Leben in reichen Abteien beendet, ihr meint immer, Häresie sei eine Denkweise, die uns der Böse eingibt. In Wahrheit ist sie eine Lebensweise und... ja, das war sie für uns... eine neue Erfahrung. Es gab keine Herren mehr, und Gott, so glaubten wir, war mit uns... Nicht dass ich meine, wir wären im Recht gewesen, Bruder William, und du siehst mich hier vor dir, weil ich damals rasch die Finger davon gelassen habe. Aber eure gelehrten Dispute über die Armut Christi, über usus und facti und ius , die habe ich nie verstanden... Wie gesagt, es war für mich eher ein herrlicher Karneval, und im Karneval ist die
Weitere Kostenlose Bücher