Die historischen Romane
fragte er Remigius: »Und wieso lieferst du uns deine Freunde jetzt aus?«
»Es sind nicht meine Freunde, was Ihr daran sehen könnt, dass ich ihnen die Briefe nicht überbracht habe. Ja, und ich tat sogar noch mehr, und das will ich Euch jetzt sagen, nachdem ich es jahrelang zu vergessen suchte: Um jenen Berg verlassen zu können, ohne im Tal von den Soldaten des Bischofs gefasst zu werden, setzte ich mich heimlich mit einigen von ihnen in Verbindung und zeigte ihnen als Gegenleistung für freies Geleit, wie sie am besten Dolcinos Festung erstürmen konnten – und so verdanken die Kräfte der Kirche einen Teil ihres Erfolges meiner Kollaboration...«
»Sehr interessant. Damit wissen wir nun, dass du nicht bloß ein Ketzer warst, sondern auch noch ein Feigling und ein Verräter. Was deine Lage nicht besser macht. Wie du heute, um dich zu retten, deinen Mitbruder Malachias anzuklagen versucht hast, obwohl er dir zu Diensten gewesen war, so hast du damals, um dich zu retten, deine Sündengenossen der Gerechtigkeit ausgeliefert. Aber du hast nur ihre Leiber verraten, niemals ihre Lehren, und diese Briefe hast du aufbewahrt wie Reliquien, hoffend, dass du vielleicht eines Tages den Mut und die Möglichkeit haben würdest, sie gefahrlos zu überbringen, um dich erneut beliebt zu machen bei den Pseudo-Aposteln.«
»Nein, Herr Inquisitor, nein!« protestierte der Cellerar mit schweißbedecktem Gesicht und zitternden Händen. »Nein, ich schwöre Euch...«
»Du schwörst?« rief Bernard. »Ein neuer Beweis deiner Ruchlosigkeit! Du willst schwören, weil du weißt, dass ich weiß, dass die waldensischen Ketzer zu jeder List bereit sind und sogar zum Tod, um nur ja nicht schwören zu müssen! Und wenn sie in höchster Not sind, tun sie, als ob sie schwören, und sagen falsche Schwurworte! Aber ich weiß genau, dass du nicht zur Sekte der Armen von Lyon gehörst, du elender Fuchs, und jetzt versuchst du mich davon zu überzeugen, dass du nicht bist, was du nicht bist, damit ich nicht sage, dass du bist, was du bist! Schwören willst du? Nun gut, so schwöre, um freigesprochen zu werden, aber wisse, dass mir ein Schwur nicht genügt! Ich kann zwei, drei, hundert Schwüre von dir verlangen, so viele ich will! Denn ich weiß genau, dass ihr Pseudo-Apostel einander Dispens erteilt, wenn ihr Meineide schwört, um die Sekte nicht zu verraten, und so wird jeder Schwur zu einem erneuten Beweis deiner Schuld!«
»Aber was kann ich dann tun?« heulte der Angeklagte und fiel auf die Knie.
»Prosterniere nicht wie ein Begine! Gar nichts kannst du mehr tun. Ich allein weiß, was jetzt noch getan werden muss«, sagte Bernard mit eisigem Lächeln. »Dir bleibt nur noch zu gestehen. Doch wenn du gestehst, wirst du verdammt und verurteilt werden, und wenn du nicht gestehst, wirst du auch verdammt und verurteilt werden, nämlich wegen Meineides! Also gestehe, um wenigstens dieses Verhör abzukürzen, das unser Gewissen quält und unseren Sinn für Mitleid und Güte verletzt!«
»Und was soll ich gestehen?«
»Zweierlei Sünden. Erstens, dass du zur Sekte der Dolcinianer gehört hast, dass du ihre häretischen Ansichten, ihre schamlosen Gebräuche und ihre gottlosen Anschläge auf die Würde der Bischöfe und der städtischen Magistrate teiltest und dass du unbußfertigerweise ihre Lügen und Illusionen weiterhin teilst, auch nach dem Tode des Häresiarchen und der Auflösung seiner Sekte, die freilich immer noch nicht ganz zerschlagen und vernichtet ist. Zweitens, dass du, in tiefster Seele verdorben durch die Praktiken, die du in jener Sekte erlernt hast, schuldig bist an den Verbrechen gegen die Ordnung Gottes und der Menschen, die hier in dieser Abtei verübt worden sind, verübt aus Gründen, die mir zwar noch entgehen, aber die auch gar nicht so dringend geklärt werden müssen, wenn erst einmal vor aller Augen bewiesen ist (wie wir es hier tun), dass die Ketzerei derer, die den Gläubigen Armut predigen wider die Lehren unseres guten Herrn Papstes und seiner Bullen, letzten Endes nur zu verbrecherischen Handlungen führen kann! Das ist es, was die Gläubigen lernen müssen, und das genügt mir. Gestehe!«
Es war jetzt klar, worauf Bernard hinauswollte. In keiner Weise daran interessiert, den wahren Mörder zu finden, der in der Abtei sein Unwesen trieb, ging es ihm lediglich um den Beweis, dass Remigius die von den kaiserlichen Theologen vertretenen Ideen irgendwie teilte. Denn durch den Beweis eines Zusammenhangs zwischen diesen
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