Die historischen Romane
Niketas, und da ist mir eingefallen, dass Otto von den Magiern im Zusammenhang mit dem Reich des Priesters Johannes gesprochen hatte. Sicher, wenn dieser arme alte Pfarrer sie einfach so vorgezeigt hätte, als wären sie aus dem Nichts gekommen, hätte ihm niemand geglaubt. Aber muss eine Reliquie, um echt zu sein, wirklich auf den Heiligen oder das Ereignis zurückgehen, von dem sie ein Teil ist?«
»Nein, kaum. Viele Reliquien, die hier in Konstantinopel aufbewahrt werden, sind höchst zweifelhafter Herkunft, aber der Gläubige, der sie küsst, spürt, dass ihnen übernatürliche Düfte entströmen. Es ist der Glaube, der sie echt macht, nicht sie den Glauben.«
»Genau. Auch ich dachte mir, dass eine Reliquie dann etwas taugt, wenn sie ihren Platz in einer wahren Geschichte findet. Außerhalb der Geschichte des Priesters Johannes mochten diese Magier der Betrug eines Teppichhändlers sein, innerhalb der wahrheitsgemäßen Geschichte dieses Priesterkönigs wurden sie zu einem sicheren Zeugnis. Eine Pforte ist nur eine Pforte, wenn sie einen Palast um sich herum hat, sonst wäre sie nur eine Öffnung, was sage ich, nicht einmal das, denn eine Leere ohne etwas Volles drumherum ist nicht mal eine Leere. So begriff ich damals, dass ich im Besitz der Geschichte war, in der diese Magier etwas bedeuten konnten. Ich dachte mir, wenn ich etwas über Johannes sagen musste, um den Kaiser dazu zu bringen, sich auf den Weg nach Osten zu machen, dann würde die Bestätigung durch die Magier, die fraglos aus dem Osten kamen, meine Argumentation bestärken. Diese armen drei Könige aus dem Morgenland schliefen da in ihrem Sarkophag und ließen zu, dass Pavesaner und Lodianer die Stadt zerstörten, die sie ohne es zu wissen in ihren Mauern beherbergte. Sie schuldeten ihr nichts, dieser Stadt, sie hielten sich nur vorübergehend in ihr auf, wie in einer Herberge, um nach einer Weile weiterzuziehen, im Grunde waren sie von Natur aus Weltenbummler – hatten sie sich nicht von wer weiß woher aufgemacht, um einem Stern zu folgen? Mir oblag es, diesen drei Leibern ein neues Bethlehem zu geben.«
Baudolino wusste, dass eine gute Reliquie geeignet war, das Schicksal einer ganzen Stadt zu verändern, sie zum Ziel einer ununterbrochenen Pilgerfahrt zu machen, eine Kirche in eine Wallfahrtsstätte zu verwandeln. Wer könnte ein Interesse an diesen Magiern haben? Rainald von Dassel fiel ihm ein: Vor kurzem war ihm das Erzbistum Köln angetragen worden, aber er musste noch hingehen und sich offiziell weihen lassen. In den eigenen Dom einzuziehen und dabei die Reliquien der drei Könige mitzubringen, das wäre wahrhaftig ein Coup. Suchte Rainald nicht fortwährend nach Symbolen der kaiserlichen Macht? Und hier hatte er nicht bloß einen, sondern gleich drei Könige, die zugleich auch noch Priester gewesen waren!
Baudolino fragte den Pfarrer, ob er die Reliquien einmal sehen könne. Der Alte bat ihn zu helfen, man müsse den Sarkophagdeckel so weit beiseite schieben, dass der Schrein zum Vorschein komme, in dem sie aufbewahrt würden.
Es war Schwerarbeit, aber es lohnte sich. O Wunder: die Leichname der drei Könige schienen noch lebendig zu sein, obgleich die Haut ausgedörrt und ganz schrumpelig war. Aber sie war nicht braun oder schwarz geworden, wie es sonst bei mumifizierten Leichen vorkommt. Zwei der Magier hatten fast milchweiße Gesichter, einer mit einem langen weißen Bart, der bis zur Brust reichte, unversehrt, wenn auch steif geworden, so dass er wie Zuckerwatte aussah, der andere bartlos. Der dritte war schwarz wie Ebenholz, aber nicht wegen der vergangenen Zeit, sondern weil er auch im Leben ein Schwarzer gewesen sein musste, er schien wie aus Holz geschnitzt, ja er hatte sogar etwas wie eine Kerbe auf der linken Wange. Er trug einen kurzen Bart und hatte fleischige Lippen, die sich aufstülpten und zwei einzelne Zähne zeigten, weiß und bleckend. Alle drei hatten die Augen weit offen, groß und erstaunt, mit Pupillen, die glitzerten wie aus Glas. Sie waren in drei Mäntel gehüllt, einer weiß, einer grün, einer rot, und darunter trugen sie Hosen nach Barbarenart, aber aus purem Damast und mit Perlen verziert.
Baudolino eilte zurück ins kaiserliche Lager und begab sich unverzüglich zu Rainald. Der Kanzler begriff sofort, welchen Wert die Entdeckung hatte, und sagte: »Es muss alles heimlich und rasch erfolgen. Man wird nicht einen ganzen Schrein abtransportieren können, das ist zu auffällig. Wenn hier jemand
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