Die historischen Romane
nicht, aber ich wüsste schon, wie ich dort hinkäme, denn wer das Ziel kennt, kennt auch den Weg.«
»Und warum ist dann keiner von euch Romäern jemals dorthin gegangen?«
»Wer sagt dir, dass es nie einer versucht hat? Ich könnte dir sagen: Wenn unser Basileus Manuel sich in das Land des Sultans von Ikonion gewagt hat, dann eben gerade, um sich den Weg ins Reich des Herrn der drei Indien zu öffnen.«
»Das könntest du sagen, aber du sagst es nicht.«
»Weil unser ruhmreiches Heer genau dort vernichtet worden ist, in Myriokephalon, vor zwei Jahren. Also ehe unser Basileus eine neue Expedition versucht, braucht er Zeit. Aber wenn ich viel Geld hätte und eine Gruppe von gut bewaffneten Männern, die es mit tausend Schwierigkeiten aufnehmen, dann wüsste ich schon ungefähr, in welche Richtung ich gehen müsste, und bräuchte bloß aufzubrechen. Unterwegs fragst du dich eben durch, folgst den Wegangaben der Einheimischen ... Es muss viele Zeichen geben, wenn du auf dem richtigen Weg bist, müsstest du immer mehr Bäume sehen, die nur in jenen Gegenden blühen, oder Tieren begegnen, die nur dort leben, wie eben genau die Methagallinarii.«
»Hoch die Methagallinarii!« rief Baudolino und hob seinen Becher. Zosimos schlug vor, ein Hoch auf das Reich des Priesters Johannes auszubringen. Dann forderte er ihn heraus, auf das Wohl Kaiser Manuels anzustoßen, und Baudolino antwortete, da mache er mit, wenn sie dann auch beide auf das Wohl Kaiser Friedrichs anstießen. Dann tranken sie auf den Papst, auf Venedig, auf die beiden Kurtisanen, die sie wenige Tage vorher kennengelernt hatten, und schließlich war Baudolino als erster mit dem Kopf auf den Tisch gesunken und eingeschlafen, wobei er Zosimos gerade noch mühsam lallen hörte: »Dies ist das Leben des Mönches: keine Neugierde zeigen, nicht mit dem Ungerechten gehen, nicht mit den Händen raffen ...«
Am nächsten Morgen sagte Baudolino mit noch belegter Zunge: »Zosimos, du bist ein Spitzbube. Du hast nicht die geringste Ahnung, wo dein Herr der drei Indien lebt. Du willst einfach der Nase nach gehen, und wenn einer dir sagt, er habe dort hinten einen Methagallinarius gesehen, dann rennst du los, und in Nullkommanichts kommst du zu einem Palast, der ganz aus Edelsteinen ist, und siehst irgendeinen Knilch und sagst, Hallo Priester Johannes, wie geht's? Sowas kannst du deinem Basileus erzählen, nicht mir.«
»Aber ich habe eine gute Karte«, sagte Zosimos, während er langsam die Augen aufschlug.
Worauf Baudolino erwiderte, auch mit einer guten Karte bleibe noch alles im vagen und schwer zu entscheiden, weil man ja wisse, wie ungenau Karten seien, besonders für jene Orte, an denen allenfalls mal Alexander der Große gewesen war und seitdem niemand mehr. Und er zeichnete ihm, so gut er konnte, die von Abdul gefertigte Karte.
Zosimos fing an zu lachen. Klar, wenn Baudolino der ketzerischen und perversen Idee anhing, dass die Erde eine Kugel sei, brauche er seine Reise gar nicht erst anzutreten.
»Entweder du vertraust der Heiligen Schrift, oder du bist ein Heide, der noch so denkt, wie man vor Alexander dachte – der übrigens unfähig war, uns irgendeine Karte zu hinterlassen. Nach der Heiligen Schrift hat nicht nur die Erde, sondern das ganze Universum die Form eines Tabernakels, beziehungsweise Moses hat seinen Tabernakel-Tempel als getreues Abbild des Universums gestaltet, von der Erde bis zum Firmament.«
»Aber die antiken Philosophen ...«
»Die antiken Philosophen, die noch nicht vom Wort Gottes erleuchtet waren, haben sich die Antipoden ausgedacht, während in der Apostelgeschichte steht, dass Gott aus einem einzigen Menschen die ganze Menschheit geschaffen hat, auf dass sie das Antlitz der Erde bewohne – das Antlitz, nicht irgendeinen anderen Teil, der nicht existiert. Und im Evangelium des Lukas steht, dass der Herr den Aposteln die Macht gegeben hat, über Schlangen und Skorpione zu gehen – und gehen heißt auf etwas gehen, nicht unter etwas. Im übrigen, wenn die Erde eine Kugel wäre und im Leeren schwebte, hätte sie weder ein Oben noch ein Unten, und folglich gäbe es auf ihr keine Richtung des Gehens und nicht mal ein Gehen in irgendeiner Richtung. Wer hat gesagt, dass der Himmel aus Sphären bestehe, also eine Kugel sei? Die chaldäischen Sünder auf der Spitze des Turms zu Babel – soweit sie ihn haben errichten können –, verblendet durch den Schrecken, den ihnen der nahe Himmel eingejagt hatte! Welcher Pythagoras und welcher
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