Die historischen Romane
hieltest. Folglich«, schloss Zosimos triumphierend, »wenn du das Land des Priesters Johannes erreichen willst, musst du die Weltkarte benutzen, die der Priester Johannes benutzen würde, und nicht deine – und das wohlgemerkt auch dann, wenn deine richtiger wäre als seine!«
Baudolino war beeindruckt vom Scharfsinn der Beweisführung und bat Zosimos, ihm zu erklären, wie denn Kosmas und mithin der Priester Johannes die Welt sahen. »Ach nein«, antwortete Zosimos, »wo die Karte zu finden ist, weiß ich wohl, aber warum soll ich sie dir und deinem Kaiser geben?«
»Es sei denn, er gibt dir so viel Geld, dass du mit einer Truppe gutbewaffneter Männer aufbrechen kannst.«
»Genau.«
Von diesem Moment an ließ sich Zosimos kein Wort mehr über Kosmas' Karte entlocken, er machte nur hin und wieder, wenn er betrunken war, vage Andeutungen, wozu er mit dem Finger mysteriöse Kurven in die Luft zeichnete, aber dann brach er ab, als hätte er schon zu viel gesagt. Baudolino schenkte ihm Wein nach und stellte ihm scheinbar ausgefallene Fragen: »Aber wenn wir nahe bei Indien sind und unsere Pferde nicht mehr weiterkönnen, müssen wir dann auf Elefanten reiten?«
»Vielleicht«, sagte Zosimos, »denn in Indien leben alle Tiere, die in deinem Brief genannt werden, und noch ein paar mehr, nur keine Pferde. Aber sie haben trotzdem welche, denn sie lassen sie aus Tzinistan kommen.«
»Und was ist das für ein Land?«
»Ein Land, in das die Reisenden gehen, um Seidenwürmer zu jagen.«
»Seidenwürmer? Was soll denn das sein?«
»Nun, in Tzinistan gibt es kleine Eier, die werden den Frauen an den Busen gelegt, und wenn sie in der Wärme dort ausgebrütet sind, kriechen kleine Würmer heraus. Diese werden auf Maulbeerblätter gelegt, von denen sie sich ernähren. Wenn sie erwachsen sind, ziehen sie aus ihrem Körper Seidenfäden und spinnen sich darin ein, als lägen sie in einem Grab. Dann verwandeln sie sich in wunderschöne bunte Schmetterlinge und schlüpfen aus dem Kokon. Bevor sie wegfliegen, dringen die Männchen von hinten in die Weibchen ein, und beide leben ohne Nahrung allein von der Wärme ihrer Liebe, bis sie sterben, und sterbend legt das Weibchen seine Eier.«
»Einem Mann, der dir weismachen will, dass Seide aus Würmern gewonnen wird, war wirklich nicht zu trauen«, sagte Baudolino zu Niketas. »Er machte den Spitzel für seinen Basileus, aber auf die Suche nach dem Herrn der drei Indien wäre er auch im Solde Friedrichs gegangen. Dann allerdings, wenn er dort angelangt wäre, hätten wir ihn nie wiedergesehen. Und doch, seine Andeutungen über die Karte des Kosmas hatten mich in Erregung versetzt. Diese Karte erschien mir wie der Stern Bethlehems, nur dass sie in die entgegengesetzte Richtung wies. Sie würde mir zeigen, wie ich den Weg der Magier zurückgehen könnte. Und so bemühte ich mich im Glauben, ich sei gerissener als er, ihn zu noch größerer Zügellosigkeit anzutreiben, um ihn noch betrunkener und redseliger zu machen.«
»Aber?«
»Aber er war gerissener als ich. Am nächsten Tag fand ich ihn nicht mehr vor, und seine Mitbrüder sagten, er sei nach Konstantinopel abgereist. Er hatte mir eine Grußbotschaft hinterlassen. Sie lautete: ›Wie Fische sterben, wenn sie auf dem Trockenen liegen bleiben, so verlieren Mönche, die sich zu lange außerhalb ihrer Zelle aufhalten, die Lebenskraft der Vereinigung mit Gott. In den letzten Tagen bin ich in der Sünde ausgetrocknet, lass mich die Frische der Quelle wiederfinden.‹«
»Vielleicht stimmte das.«
»Nicht im mindesten. Er hatte einen Weg gefunden, seinem Basileus Geld zu entlocken. Und zwar auf meine Kosten.«
17. Kapitel
Baudolino entdeckt, dass der Priester Johannes
an zu viele Leute schreibt
Im Juli desselben Jahres begab sich Friedrich nach Venedig. Übers Meer von Ravenna bis Chioggia wurde er vom Sohn des Dogen begleitet, dann erreichte er die Kirche San Niccolò am Lido, und am Sonntag, dem 24., warf er sich auf dem Markusplatz vor Papst Alexander zu Boden. Dieser hob ihn auf und umarmte ihn mit ostentativer Herzlichkeit, und alle ringsum sangen das Te Deum . Es war wirklich ein Triumph, wenn auch nicht ganz klar war, für wen der beiden. In jedem Fall beendete es einen Krieg, der achtzehn Jahre gedauert hatte, und nur wenige Tage später unterzeichnete der Kaiser einen Waffenstillstand auf sechs Jahre mit den Städten der Lombardischen Liga. Friedrich war so zufrieden, dass er beschloss, noch einen Monat in
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