Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Aristoteles hat es vermocht, die Auferstehung der Toten vorauszusehen? Und solchen Ignoranten soll es gelungen sein, die wahre Form der Erde zu begreifen? Diese kugelförmige Erde soll dazu helfen, sagen sie, den genauen Zeitpunkt des Sonnenauf- und -untergangs vorauszubestimmen, oder auf welchen Tag Ostern fällt? So ein Unsinn, wo doch ganz einfache Leute, die weder Philosophie noch Astronomie studiert haben, sehr gut wissen, wann die Sonne auf- und untergeht, je nach den Jahreszeiten, und Ostern in den verschiedenen Ländern nach derselben Methode berechnet wird, ohne dass man sich irrt? Wozu braucht man eine andere Geographie als jene, die ein guter Zimmermann kennt, und eine andere Astronomie als jene, nach welcher der Bauer weiß, wann er säen und wann er ernten muss? Und übrigens, von welchen antiken Philosophen redest du überhaupt? Kennt ihr Lateiner den Xenophanes von Kolophon, der die Erde zwar als unendlich, aber nicht kugelförmig ansah? Die Ignoranten werden sagen, wenn man das Universum als Tabernakel ansehe, könne man die Eklipsen und Äquinoktien nicht erklären. Nun, in unserem Romäerreich hat vor Jahrhunderten ein großer Weiser gelebt, Kosmas Indikopleustes, der bis an die Grenzen der Welt gereist ist, und der hat in seiner Christlichen Topographie unwiderleglich bewiesen, dass die Erde tatsächlich die Form eines Tabernakels hat und dass gerade die unklarsten Phänomene nur so zu erklären sind. Willst du, dass der christlichste aller Könige, ich meine Johannes, sich nicht an die christlichste aller Topografien hält, die nicht nur die des Kosmas ist, sondern auch die der Heiligen Schrift?«
    »Ich sage dir, mein Priester Johannes weiß nichts von der Topographie deines Kosmas.«
    »Du selber hast mir gesagt, dass Johannes ein Nestorianer ist. Nun hatten die Nestorianer eine dramatische Diskussion mit anderen Häretikern, den Monophysiten. Für die Monophysiten war die Erde wie eine Kugel, für die Nestorianer wie ein Tabernakel geformt. Man weiß, dass Kosmas ebenfalls Nestorianer war und jedenfalls Anhänger des Lehrers von Nestorios, Theodoros von Mopsuestia, und dass er sein Leben lang gegen die monophysitische Häresie des Johannes Philoponos aus Alexandria kämpfte, der heidnischen Philosophen wie Aristoteles folgte. Kosmas ein Nestorianer, der Priester Johannes ein Nestorianer – beide können gar nicht anders, als fest an die tabernakelförmige Erde zu glauben.«
    »Moment mal. Sowohl dein Kosmas wie auch mein Priester sind Nestorianer, keine Frage. Aber wenn man bedenkt, dass die Nestorianer, soweit ich weiß, sich über Jesus und seine Mutter getäuscht haben, dann könnten sie sich doch auch über die Form der Erde getäuscht haben. Oder nicht?«
    »Ha, pass auf, jetzt kommt mein subtilstes Argument! Ich werde dir beweisen, dass du – wenn du den Priester Johannes finden willst – in jedem Fall gut daran tust, dich an Kosmas zu halten und nicht an die heidnischen Topografen. Nehmen wir für einen Augenblick an, Kosmas habe sich getäuscht und falsche Dinge geschrieben. Auch wenn dem so wäre, werden diese Dinge gleichwohl von allen Völkern des Orients, die Kosmas besucht hat, geglaubt und für wahr gehalten, sonst hätte er sie nicht in den Ländern gehört, hinter denen das Reich des Priesters Johannes liegt, und zweifellos denken die Bewohner jenes Reiches, dass die Welt tabernakelförmig ist, und bestimmen die Entfernungen, die Grenzen, den Lauf der Flüsse, die Ausdehnung der Meere, die Küsten und Buchten, um nicht von den Gebirgen zu reden, gemäß der wunderbaren Zeichnung des Tabernakels.«
    »Das Argument überzeugt mich noch nicht«, sagte Baudolino. »Dass sie glauben, in einem Tabernakel zu leben, muss ja nicht heißen, dass sie wirklich in einem leben.«
    »Lass mich meinen Gedanken zu Ende führen. Wenn du mich fragen würdest, wie man in meine Geburtsstadt Chalkedon gelangt, könnte ich es dir sehr gut erklären. Dabei kann es sein, dass ich die Länge der Reise anders bestimme als du oder dass ich rechts nenne, was du links nennst – übrigens habe ich gehört, dass die Sarazenen Karten zeichnen, auf denen Süden oben und Norden unten ist, so dass die Sonne links von den dargestellten Ländern aufgeht. Aber wenn du die Art, wie ich den Lauf der Sonne und die Form der Erde darstelle, akzeptierst und meinen Angaben folgst, wirst du mit Sicherheit dort ankommen, wo ich dich hinschicken will, während du sie nicht verstehen würdest, wenn du dich an deine Karten

Weitere Kostenlose Bücher