Die historischen Romane
Venedig zu bleiben.
Es war im August, als Reichskanzler Christian von Buch eines Morgens Baudolino und die Seinen zu sich rief und sie bat, ihm zum Kaiser zu folgen. Bei Friedrich angelangt, überreichte er diesem mit dramatischer Geste ein von Siegeln strotzendes Pergament. »Dies ist der Brief des Priesters Johannes«, sagte er, »der mich auf vertraulichen Wegen aus Konstantinopel erreicht hat.«
»Der Brief?« rief Friedrich verblüfft aus. »Aber den haben wir doch noch gar nicht abgeschickt!«
»Tatsächlich ist es auch nicht unserer, sondern ein anderer. Er ist nicht an dich gerichtet, sondern an den Basileus Manuel. Ansonsten ist er mit unserem identisch.«
»Also bietet dieser Priester Johannes erst mir ein Bündnis an und dann den Romäern?« empörte sich Friedrich.
Baudolino war sprachlos, denn von Briefen des Priesters verstand er etwas: Es gab nur einen, und den hatte er geschrieben. Falls der Priester tatsächlich existierte, konnte er auch noch einen anderen geschrieben haben, aber bestimmt nicht diesen . Baudolino ließ sich den Brief zeigen, und nach rascher Durchsicht sagte er: »Er ist nicht ganz identisch mit unserem, es gibt kleine Abweichungen. Mein Vater, wenn du erlaubst, würde ich ihn gern genauer prüfen.«
Er zog sich mit seinen Freunden zurück, und gemeinsam lasen sie mehrere Male den Brief. Als erstes fiel ihnen auf, dass er immer noch auf Lateinisch geschrieben war. Merkwürdig, fand Rabbi Solomon, wo ihn doch der Priester an den griechischen Basileus geschickt hat. Tatsächlich lautete der Anfang:
Der Presbyter Johannes, kraft der Macht und Herrlichkeit Gottes und Unseres Herrn Jesus Christus Herr der Herrschenden, an Manuel, den Regenten der Romäer, dem er Gesundheit und fortdauernden Genuss der göttlichen Gnade wünscht.
»Zweite Merkwürdigkeit«, sagte Baudolino, »er nennt Manuel nicht Basileus, sondern Regent der Romäer. Also ist der Brief bestimmt nicht von einem Griechen in der kaiserlichen Umgebung geschrieben worden. Den hat jemand geschrieben, der Manuels Rechte nicht anerkennt.«
»Also«, schloss der Poet, »der echte Priester Johannes, der sich als Herr der Herrschenden betrachtet.«
»Lesen wir weiter«, sagte Baudolino, »und ich weise euch auf die Wörter und Sätze hin, die nicht in unserem Brief gestanden haben.«
Unserer Majestät war schon berichtet worden, dass Du Unsere Exzellenz in hoher Achtung hältst und dass Kunde von Unserer Magnifizenz zu Dir gelangt ist. Aber nun haben Wir von einem Unserer Apokrisiare erfahren, dass Du Uns etwas Erfreuliches und Vergnügliches schicken willst, auf dass sich Unsere Mildtätigkeit daran ergötze. Insofern ich Mensch bin, nehme ich die Gabe gern an und schicke Dir durch einen Unserer Apokrisiare ein Zeichen von Uns, begleitet vom Wunsche zu wissen, ob Du mit Uns dem rechten Glauben folgst und ob Du in allem an Unseren Herrn Jesus Christus glaubst. Während ich nämlich sehr wohl weiß, dass ich Mensch bin, halten Deine Graeculi Dich für einen Gott, Wir aber wissen sehr wohl, dass Du sterblich bist und der menschlichen Hinfälligkeit unterliegst. In Anbetracht der Größe Unserer Freigebigkeit: Wenn Dir etwas dienlich ist, was Dir Vergnügen bereiten könnte, lass es Uns wissen, sei es durch einen Wink gegenüber Unserem Apokrisiar oder durch ein Zeugnis Deiner Liebe .
»Hier sind der Merkwürdigkeiten ein bisschen viele«, fand Rabbi Solomon. »Einerseits behandelt er den Basileus und seine ›Graeculi‹ mit einer Herablassung und Verachtung, die an Beleidigung grenzt, andererseits benutzt er ein Wort wie Apokrisiar , das mir griechisch vorkommt.«
»Es heißt genau Botschafter, Emissär, wie wir geschrieben haben«, sagte Baudolino. »Aber hört weiter zu. Wo es bei uns hieß, an der Tafel des Priesters säßen der Metropolit von Samarkand und der Erzpriester von Susa, ist hier die Rede vom Protopapaten Sarmagantinum und vom Archiprotopapaten de Susis . Und hier, unter den Wundern des Reiches wird ein Kraut namens Assidios genannt, das die bösen Geister austreibt. Drei weitere griechische Wörter.«
»Also«, sagte der Poet, »ist der Brief von einem Griechen geschrieben worden, der jedoch die Griechen sehr schlecht behandelt. Das verstehe ich nicht.«
Unterdessen hatte Abdul das Pergament in die Hand genommen. »Da ist noch mehr«, sagte er. »Wo wir die Pfefferernte erwähnt haben, werden noch weitere Einzelheiten genannt. Hier ist hinzugefügt worden, dass es im Reich des Johannes
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