Die historischen Romane
aufgebrochen, ja es ist nicht mal gesagt, dass er überhaupt existiert. Erstens weiß Alexander genau, denke ich, dass der Brief an Manuel eine Fälschung ist. Zweitens weiß er gar nicht, wo sein Johannes zu finden sein soll. Drittens hat er den Brief geschrieben, um dir zuvorzukommen und zu sagen, dass der Priester Johannes ihm gehört, und im übrigen lädt er dich und Manuel dazu ein, die ganze Geschichte mit dem Priesterkönig zu vergessen. Viertens, selbst wenn Philippus existieren würde, selbst wenn er zu diesem Priester ginge und tatsächlich dort ankäme, überleg nur mal einen Moment, was passieren würde, wenn er unverrichteter Dinge zurückkäme, weil der Priester Johannes nicht zur Katholischen Kirche übergetreten ist. Für Alexander wäre das doch ein Schlag ins Gesicht. Das kann er nicht riskieren.«
In jedem Fall war es nun zu spät, den Brief an Friedrich publik zu machen, und Baudolino fühlte sich wie enteignet. Beim Tod Bischof Ottos hatte er angefangen, mit dem Reich des Priesters Johannes zu liebäugeln, und seitdem waren fast zwanzig Jahre vergangen ... Zwanzig Jahre vergeudet für nichts ...
Dann aber raffte er sich auf: Nein, mag sich der Brief des Priesters in nichts auflösen oder sich in einer Fülle anderer Briefe verlieren, heutzutage kann jeder, der will, sich einen Liebesbriefwechsel mit dem Priester Johannes erfinden, wir leben in einer Welt von abgefeimten, durchtriebenen Lügnern, aber das heißt nicht, dass man darauf verzichten soll, nach seinem Reich zu suchen. Schließlich gibt es immer noch Kosmas' Karte, also genügt es, Zosimos wiederzufinden, sie ihm zu entreißen, und dann auf zur Reise ins Unbekannte ...
Aber wo mochte Zosimos stecken? Und selbst wenn man wüsste, dass er sich überhäuft mit Pfründen im Kaiserpalast seines Basileus befand, wie sollte man ihn dort aufstöbern, inmitten der ganzen byzantinischen Armee? Baudolino fing an, Reisende, Boten und Kaufleute zu befragen, um etwas über den ruchlosen Mönch zu hören, und zugleich fuhr er fort, Friedrich an den Plan zu erinnern: »Mein Vater«, sagte er, »jetzt hat die Sache mehr Sinn als vorher, denn vorher konntest du fürchten, dass jenes Reich bloß eine von meinen Phantastereien sei, aber jetzt weißt du, dass auch der griechische Basileus und der Papst in Rom daran glauben, und in Paris wurde mir gesagt, wenn unser Geist imstande ist, etwas zu konzipieren, von dem es kein Größeres gibt, dann existiert dieses Etwas gewiss. Ich bin jemandem auf der Spur, der mir Informationen über den Weg dorthin geben kann – ermächtige mich, etwas Geld auszugeben.« Es gelang Baudolino, sich mit genügend Gold ausstatten zu lassen, um alle Graeculi , die nach Venedig kamen, zu bestechen, er wurde in Kontakt mit vertrauenswürdigen Leuten in Konstantinopel gebracht und wartete auf Nachrichten. Sobald er sie bekommen haben würde, brauchte er Friedrich nur noch dazu zu bringen, eine Entscheidung zu treffen.
»Weitere Jahre des Wartens vergingen, und inzwischen war auch euer Manuel gestorben. Obwohl ich euer Land noch nicht besucht hatte, Kyrios Niketas, wusste ich genug darüber, um mir denken zu können, dass beim Wechsel eines Basileus alle seine alten Vertrauten liquidiert werden würden. Ich betete zur Madonna und zu allen Heiligen, dass Zosimos noch lebte, auch geblendet würde er mir noch genügen, er musste mir die Karte nur geben, ich würde sie dann schon lesen können. Und derweil hatte ich das Gefühl, dass mir die Jahre wie Sand zwischen den Fingern zerrannen, ja dass ich die Jahre verlor, wie jemand Blut verliert.«
Niketas ermunterte Baudolino, sich jetzt nicht von seiner damaligen Enttäuschung niederdrücken zu lassen. Er hatte seinen Koch und Diener gebeten, sich selbst zu übertreffen, die letzte Mahlzeit, die er unter der Sonne Konstantinopels genieße, solle ihm noch einmal alle Wonnen seines Meeres und seines Landes in Erinnerung rufen. Auf den Tisch kommen sollten Langusten und Einsiedlerkrebse, gekochter Hummer, gebratene Krabben, Linsen mit Austern und Muscheln, Meeresdatteln, dazu ein Püree aus Ackerbohnen und Reis mit Honig, umgeben von einem Kranz aus Fischeiern, das Ganze serviert mit kretischem Wein. Aber das war nur der erste Gang. Danach kam ein Schmorbraten, der einen köstlichen Duft verbreitete, und im Topf dampften vier schöne harte und schneeweiße Kohlherzen, ein Karpfen und zwanzig kleine Makrelen, Sardellenfilets, vierzehn Eier, ein wenig Schafskäse aus der Walachei,
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