Die historischen Romane
und guten Wünschen und machten sich auf den Weg übers Land, unter einem Frühlingshimmel mit einem fast runden Vollmond am Horizont. Eine leichte Brise wehte vom fernen Meer her. Alle hatte sich tagsüber ausgeruht und kamen gut voran, nicht einmal Niketas' schwangere Gattin schien der Ritt zu ermüden. Ihm jedoch fiel das Reiten sichtlich schwer, er ächzte bei jedem ein wenig holprigen Schritt seines Maultiers und bat alle halbe Stunde um eine kurze Rast.
»Du hast zu viel gegessen, Kyrios Niketas«, sagte Baudolino.
»Hättest du einem armen Exilanten die letzten Köstlichkeiten seines sterbenden Vaterlandes verweigert?« antwortete Niketas. Dann suchte er sich einen Stein oder einen umgefallenen Baumstamm, um sich darauf niederzulassen. »Aber es ist nur aus Neugier auf den Fortgang deines Abenteuers. Setz dich her, Baudolino, horch nur, wie friedlich es hier ist, riech nur die gute Landluft. Ruhen wir uns ein bisschen aus, und du erzählst mir weiter.«
Da sie während der drei folgenden Tage immer tagsüber ritten und nachts im Freien rasteten, um Orte zu meiden, die von wer weiß wem bewohnt wurden, setzte Baudolino unter den Sternen, in einer Stille, die nur vom Rascheln der Blätter und von plötzlichen Lauten nächtlicher Tiere unterbrochen wurde, seine Erzählung fort.
Zu jener Zeit – es war das Jahr 1187 – hatte Saladin den letzten Angriff auf das christliche Jerusalem unternommen und hatte gesiegt. Er hatte sich großmütig gezeigt, hatte alle, die ein bescheidenes Lösegeld zahlen konnten, unversehrt abziehen lassen und sich damit begnügt, vor den Mauern alle Templer zu enthaupten – denn er mochte zwar großmütig sein, darin waren sich alle einig, doch die Elitetruppe der feindlichen Invasoren zu verschonen, das konnte sich kein Kriegsherr leisten, der dieses Namens würdig war, und das wussten auch die Templer, gehörte doch zu diesem Metier nun einmal die Regel, dass keine Gefangenen gemacht wurden. Aber so großmütig Saladin sich auch gezeigt haben mochte, die ganze christliche Welt war erschüttert über das Ende jenes überseeischen Frankenreiches, das beinahe ein Jahrhundert lang widerstanden hatte. Der Papst rief alle Herrscher Europas zu einem dritten Pilgerzug auf, um das von den Ungläubigen zurückeroberte Jerusalem erneut zu befreien.
Für Baudolino war der Umstand, dass sein Kaiser sich der Unternehmung anschloss, die lang ersehnte Gelegenheit. Einen Pilgerzug nach Palästina zu unternehmen bedeutete, sich darauf einzustellen, mit einer unbesiegbaren Armee nach Osten zu ziehen. Jerusalem würde im Handumdrehen genommen sein, und dann blieb nur, weiter in Richtung Indien zu ziehen. Doch gerade bei dieser Gelegenheit musste Baudolino entdecken, wie unsicher und müde sich Friedrich in Wirklichkeit fühlte. Er hatte Italien befriedet, aber er fürchtete offenbar, wenn er fortginge, würde er das Erreichte wieder verlieren. Oder vielleicht quälte ihn auch die Vorstellung einer erneuten Expedition nach Palästina, weil sie ihn an seine Verfehlung während der letzten Expedition erinnerte, als er, getrieben von seinem Jähzorn, jenes bulgarische Kloster vernichtet hatte. Wer weiß. Er zögerte jedenfalls. Er fragte sich, was seine Pflicht war, und wenn man sich diese Frage zu stellen beginnt – sagte sich Baudolino –, ist das schon ein Zeichen dafür, dass man sich nicht wirklich verpflichtet fühlt.
»Nun, Kyrios Niketas, ich war fünfundvierzig Jahre alt und riskierte, den Traum meines Lebens zu verspielen beziehungsweise mein Leben selbst, da ich mein Leben um diesen Traum herum aufgebaut hatte. So beschloss ich kaltblütig, im Vertrauen auf meinen guten Stern, meinem Adoptivvater eine Hoffnung zu geben, ein himmlisches Zeichen für seine Mission. Nach dem Fall von Jerusalem trafen in unseren christlichen Ländern viele Flüchtlinge ein, und so waren an den kaiserlichen Hof sieben Tempelritter gekommen, die sich, Gott weiß wie, der Rache Saladins hatten entziehen können. Sie waren halb verhungert, aber du weißt vielleicht nicht, was für Leute diese Templer sind: Säufer und Hurenböcke, sie verkaufen dir ihre Schwester, wenn du ihnen deine zum Vernaschen gibst – und lieber noch, heißt es, deinen Bruder. Kurzum, sagen wir, ich gab ihnen Labung, und alle sahen mich mit ihnen durch die Kneipen ziehen. Daher war es für mich nicht schwer, eines Tages dem Kaiser zu erzählen, diese schamlosen Simonisten hätten in Jerusalem nichts Geringeres als den Gradal
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