Die historischen Romane
entwendet. Und da diese Templer inzwischen so gut wie am Ende gewesen seien, hätte ich unter Aufbietung meiner gesamten Ersparnisse ihnen den Gradal abgekauft. Natürlich war Friedrich zuerst völlig verblüfft. Ja, befand sich denn der Gradal nicht in den Händen dieses Priesters Johannes, der ihn doch gerade ihm, dem Kaiser, hatte schenken wollen? Und hatte man nicht beschlossen, diesen Johannes aufzusuchen, eben um von ihm diese hochheilige Reliquie als Geschenk entgegenzunehmen? Jawohl, so war es, mein Vater, sagte ich, aber offenbar hat sie irgendein treuloser Diener dem Johannes gestohlen und an einige Templer verkauft, die zum Beutemachen gekommen waren, ohne zu wissen, wo sie sich befanden. Aber es ging nicht darum, das Wie und Wo zu wissen, sagte ich weiter. Es bot sich dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches eine neue, vielleicht einmalige Gelegenheit: den Priester Johannes aufzusuchen, um ihm den Gradal zurückzubringen . Also nicht jene unvergleichliche Reliquie zu benutzen, um Macht zu gewinnen, sondern um eine Pflicht zu erfüllen – so würde er sich die Dankbarkeit des Priesters und ewigen Ruhm in der ganzen Christenheit erwerben. Wenn man die Wahl hatte, sich den Gradal anzueignen oder ihn zurückzuerstatten, ihn eifersüchtig für sich zu behalten oder ihn dorthin zurückzubringen, von wo er gestohlen worden war, ihn zu haben oder ihn zu verschenken, ihn zu besitzen (wovon alle träumen) oder das erhabene Opfer zu vollbringen, auf ihn zu verzichten – es war klar, auf welcher Seite die wahre Salbung winkte, der Ruhm und die Ehre, der einzige wahre Rex et Sacerdos zu sein. Friedrich wurde der neue Joseph von Arimathia.«
»Du hast deinen Vater belogen.«
»Ich tat es zu seinem Wohl und zu dem des Reiches.«
»Hast du dich nicht gefragt, was geschehen würde, wenn dein Kaiser tatsächlich zu jenem Priester gelangt wäre und ihm den Gradal überreicht hätte, und wenn der also Beschenkte dann nur verständnislos geguckt und gefragt hätte, was denn diese Holzschüssel solle, die er noch nie gesehen habe? Dein Kaiser wäre nicht zum Ruhm der Christenheit, sondern zu ihrem Narren geworden.«
»Kyrios Niketas, du kennst die Menschen besser als ich. Stell dir vor, du wärst der Priester Johannes, vor dir kniet ein großer Kaiser des Abendlandes, überreicht dir eine Reliquie dieses Kalibers und sagt, sie sei dein, du wärst ihr rechtmäßiger Besitzer – fängst du dann an zu grinsen und sagst, diesen Trinknapf hättest du noch nie gesehen? Also hör mal! Ich sage ja nicht, dass der Priester Johannes bloß so getan hätte, als ob er ihn wiedererkannte. Ich denke, geblendet vom Glorienschein seiner Anerkennung als rechtmäßiger Hüter des Gradals hätte er ihn auf der Stelle wiedererkannt und geglaubt, er habe ihn schon immer besessen ... Nun, und so überreichte ich Friedrich die Trinkschale meines Vaters Gagliaudo als eine große Kostbarkeit, und ich schwöre dir, dass ich mich in diesem Augenblick selbst als der Zelebrant eines heiligen Ritus fühlte. Ich übergab das Geschenk und Andenken meines leiblichen Vaters meinem geistigen Vater, und mein leiblicher Vater hatte recht: Dieses überaus bescheidene Ding, mit dem er sein ganzes Sünderleben lang kommuniziert hatte, war wirklich und geistig der Kelch, aus dem der arme Christus getrunken hatte, bevor er hinging, um für unser aller Sünden zu sterben. Nimmt nicht auch der Priester, wenn er die Messe liest, billigstes Brot und billigsten Wein und lässt sie Fleisch und Blut Unseres Herrn werden?«
»Aber du warst kein Priester.«
»Ich habe ja auch nicht gesagt, dies sei das Blut Christi, ich habe nur gesagt, hierin sei es enthalten gewesen. Ich habe mir keine sakramentale Macht angemaßt. Ich habe ein Zeugnis abgelegt.«
»Ein falsches.«
»Nein. Du hast doch gesagt, wenn man eine Reliquie für echt hält, riecht man ihren mystischen Geruch. Wir denken immer nur, wir bräuchten Gott, aber oft ist es auch so, dass Er uns braucht. In diesem Augenblick fühlte ich deutlich, dass ich Ihm helfen musste. Jener Abendmahlskelch oder -becher mute ja schließlich existiert haben, wenn Unser Herr ihn benutzt hatte. Wenn er danach verlorengegangen war, dann durch die Schuld irgendeines Ignoranten. Ich gab ihn der Christenheit zurück. Gott würde mich nicht Lügen strafen. Beweis dafür war, dass auch meine Gefährten mir sofort alles glaubten. Das heilige Gefäß war da, vor ihren Augen, nun in den Händen Friedrichs, der es zum Himmel emporhob,
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