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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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hatten. In der Ebene am Fuß des Berges hatte man ein Bankett hergerichtet, und in der Mitte eines Kreises von Tischen, die schon gedeckt waren, stand ein Altar, auf dem der Leichnam des Verstorbenen lag. Hoch oben flogen in großen Kreisen und immer niedriger kommend Adler, Geier, Raben und andere Raubvögel, als wären sie zu dem Fest geladen. Ganz in Weiß gekleidet trat der Vater des Toten an den Altar, trennte ihm mit einer Axt den Kopf ab und legte ihn auf einen goldenen Teller. Danach zerteilten ebenfalls weißgekleidete Gehilfen den Leichnam in kleine Stücke, und jeder der Eingeladenen wurde aufgefordert, ein Stück zu nehmen und es zu einem Vogel hinaufzuwerfen, der es im Fluge auffing und mit ihm davonflog. Jemand erklärte Baudolino, die Vögel trügen den Toten ins Paradies, und dieser Brauch sei viel schöner als der anderer Völker, die ihre Toten in der Erde verfaulen ließen. Alsdann kauerten sich alle vor die Tische, und jeder kostete etwas vom Fleisch des Kopfes, bis dieser nur noch ein nackter Schädel war, sauber und blank wie aus Metall, und sie daraus eine Schale machten, aus der alle freudig und den Verstorbenen preisend tranken.
     
    Ein andermal zogen sie eine ganze Woche lang durch ein Sandmeer, in dem sich Dünen wie große Wellen erhoben und der Boden unter den Füßen und den Hufen der Pferde zu wanken schien. Solomon, der schon bei der Überfahrt von Kalliupolis seekrank geworden war, litt während dieser Tage unter ständigem Brechreiz, konnte jedoch nur sehr wenig von sich geben, da die Reisenden nur sehr wenig Gelegenheit hatten, etwas zu sich zu nehmen, und es war ein Glück, dass sie sich mit genügend Wasser versorgt hatten, ehe sie diesen Teil des Weges in Angriff nahmen. Hier war es, dass Abdul zum ersten Mal Fieberanfälle bekam, die ihn von da an während der ganzen weiteren Reise immer heftiger schüttelten, so dass er schließlich nicht einmal mehr in der Lage war, abends seine Lieder zu singen, wozu die Freunde ihn aufforderten, wenn sie im Mondlicht rasteten.
     
    Manchmal kamen sie auch zügig voran, wenn sie durch weite Grassteppen zogen, und wenn sie nicht mit widrigen Elementen zu kämpfen hatten, führten Boron und Ardzrouni endlose Streitgespräche über das Thema, das sie nicht losließ, nämlich die Frage der Leere.
    Boron führte seine üblichen Argumente ins Feld – dass, wenn es die Leere gäbe, uns nichts daran hindern würde, nach unserer Welt noch viele andere Welten in dieser Leere anzunehmen, und so weiter und so fort. Doch Ardzrouni hielt ihm entgegen, er verwechsle die allgemeine Leere, über die sich diskutieren ließe, mit der Leere, die sich in den Zwischenräumen zwischen den Korpuskeln bilde. Und auf Borons Frage, was denn diese Korpuskeln seien, erinnerte ihn Ardzrouni daran, dass man nach der Ansicht einiger altgriechischer Philosophen sowie auch gewisser arabischer Theologen, nämlich der Anhänger des Kalam, also der Mutakallimun, nicht denken darf, die Körper seien feste Substanzen. Das ganze Universum, jedes Ding, das in ihm existiert, auch wir selbst, sind vielmehr zusammengesetzt aus unsichtbaren Korpuskeln, genannt Atome, die sich unablässig bewegen und so das Leben erzeugen. Die Bewegung dieser Korpuskeln ist die Grundbedingung allen Werdens und allen Vergehens. Und zwischen Atom und Atom ist notwendigerweise, eben damit sie sich frei bewegen können, Leere. Ohne die Leere zwischen den Korpuskeln, aus denen jeder Körper besteht, könnte nichts zerschnitten, zerrissen oder gebrochen werden, auch könnte nichts Wasser aufsaugen noch von Kälte oder Hitze durchdrungen werden. Wie können die Nährstoffe sich in unserem Körper verteilen, wenn nicht, indem sie durch die leeren Räume zwischen den Korpuskeln reisen, aus denen unsere Körper bestehen? »Stich eine Nadel in eine prall aufgeblasene Schweineblase«, sagte Ardzrouni, »und die Luft beginnt erst zu entweichen, wenn die Nadel durch ihre Bewegung das Loch vergrößert, das sie gemacht hat. Wie kommt es, dass die Nadel zuerst einen Augenblick in der Blase steckt, die noch ganz voller Luft ist? Weil sie sich in die Leere zwischen den Korpuskeln der Luft einschiebt.«
    »Deine Korpuskeln sind eine Ketzerei, niemand hat sie jemals gesehen, außer deinen arabischen Kallimotemun oder wie die heißen«, antwortete Boron. »Schon während die Nadel eindringt, entweicht ein bisschen Luft, wodurch Platz für die Nadelspitze entsteht.«
    »Dann nimm eine leere Flasche und tauche sie mit dem

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