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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Ardzrouni sagte, er solle nur ganz ruhig sein. Eines Abends sah Baudolino ihn die untergehende Sonne beobachten, wobei er Maße am Himmel zu nehmen schien, die Arme vorgestreckt und die Finger beider Hände so überkreuz, dass sie dreieckige Fenster bildeten, durch die er in die Wolken spähte. Baudolino fragte ihn, was er da mache, und Ardzrouni sagte, er versuche herauszufinden, wo der große Berg sei, hinter dem die Sonne jeden Abend versinke, unter der großen Wölbung des Tabernakels.
    »Heilige Madonna!« rief Baudolino. »Glaubst etwa auch du an diese Geschichte vom Tabernakel, so wie Zosimos und dieser Kosmas Indikopleustes?«
    »Aber klar doch«, sagte Ardzrouni, als hätte man ihn gefragt, ob er glaube, dass Wasser nas macht. »Wie könnte ich sonst so sicher sein, dass wir denselben Weg gehen, den Zosimos genommen haben muss?«
    »Dann kennst du also die Karte, die uns Zosimos immer versprochen hat?«
    »Ich weiß nicht, was Zosimos euch versprochen hat, aber ich habe Kosmas' Karte.« Er zog ein Pergament aus seinem Reisesack und zeigte es den Freunden.
     
     
     
    »Hier, seht ihr? Dies ist der Rahmen des Okeanos. Jenseits davon sind die Länder, in denen Noah vor der Sintflut lebte. Ganz im Osten dieser Länder, getrennt vom Okeanos durch Regionen, die von allerlei Monsterwesen bewohnt sind – da werden auch wir durchmüssen –, liegt das Irdische Paradies. Aus ihm kommen, wie hier gut zu sehen ist, die Flüsse Euphrat, Tigris und Ganges, sie durchqueren den Okeanos, um durch die Länder zu fließen, zu denen wir unterwegs sind, und ergießen sich dann in den Persischen Golf, während der Nil hier unten einen weiten Umweg durch die vorsintflutlichen Länder macht, dann den Okeanos durchquert, dann durch die Unteren Südregionen fließt, genauer gesagt durch Ägypten, und sich in den Romäischen Golf ergießt, also in das, was die Lateiner zuerst Mittelmeer und dann Hellespont nennen. So, wir müssen also hier weiter in östlicher Richtung gehen, dann treffen wir zuerst auf den Euphrat, dann auf den Tigris und dann auf den Ganges, und dann biegen wir in die Unteren Ostregionen ab.«
    »Aber«, unterbrach der Poet, »wenn das Reich des Priesters Johannes nahe beim Irdischen Paradies liegt, müssen wir dann, um hinzukommen, den Okeanos überqueren?«
    »Es liegt nahe beim Irdischen Paradies, aber diesseits des Okeanos«, sagte Ardzrouni. »Allerdings müssen wir den Sambatyon überqueren ...«
    »Den Sambatyon, den steinernen Fluss!« rief Solomon und legte fromm die Hände zusammen. »Dann hatte Eldad also nicht gelogen, und dies ist die Straße, die uns zu den verstreuten Stämmen führt!«
    »Den Sambatyon haben auch wir schon im Brief des Priesters erwähnt«, erinnerte Baudolino, »und es ist klar, dass er da irgendwo sein muss. Also gut, der Herr ist uns zu Hilfe gekommen, er hat uns Zosimos verlieren lassen, aber er hat uns Ardzrouni finden lassen, der anscheinend mehr darüber weiß.«
     
    Eines Tages erblickten sie von weitem einen prächtigen Tempel mit Säulenportal und bebildertem Giebelfeld. Doch als sie näher kamen, sahen sie, dass der Tempel nur eine Fassade war, denn der Rest war Felsen, und tatsächlich befand sich jenes Säulenportal hoch oben in den Berg eingefügt, und man musste hinaufsteigen, Gott weiß wie, bis zu der Höhe, wo die Vögel fliegen, um es zu erreichen. Bei genauerem Hinsehen entdeckten sie dann an den Bergen ringsum noch andere Fassaden, hoch oben an steilen Wänden aus Lavagestein, und bisweilen mussten sie sehr genau hinsehen, um den bearbeiteten Stein von dem durch die Natur geformten zu unterscheiden, und dann entdeckten sie noch mehr gemeißelte Kapitelle, Gewölbe, Bögen und Kolonnaden von edelster Gestalt. Die Bewohner des Tals sprachen eine dem Griechischen ähnliche Sprache und sagten, ihre Stadt heiße Bakanor, aber was man dort oben sähe, seien Kirchen aus der Zeit vor tausend Jahren, als in jener Gegend Aleksandros herrschte, ein großer König der Griechen, der einen am Kreuz gestorbenen Propheten verehrte. Inzwischen hätten sie vergessen, wie man zu dem Tempel hinaufsteige, sie wüssten auch nicht, was darin sei, sie zögen es vor, die Götter (sie sagten tatsächlich »die Götter«, nicht den Herrgott) in einem offenen Hof zu verehren, in dessen Mitte der vergoldete Kopf eines Büffels thronte, erhaben auf einem hölzernen Pfahl.
    Gerade an jenem Tag beging die ganze Stadt das feierliche Begräbnis eines jungen Mannes, den alle sehr gemocht

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