Die historischen Romane
keine Angehörigen der anderen Rassen zu ihren Debatten über die heiligen Dinge zugelassen, aber wir waren anders, man hielt es nicht für möglich, dass auch wir schlecht denken könnten, im Gegenteil, jede Rasse war überzeugt, dass wir so dachten wie sie. Der einzige, der seine Enttäuschung über unsere Vertrautheit mit den Blemmyern gern gezeigt hätte, war Gavagai, aber inzwischen war es soweit, dass der getreue Skiapode uns verehrte, und so konnte alles, was wir taten, für ihn nur wohlgetan sein. Ein bisschen aus Naivität, ein bisschen aus Liebe hatte er sich eingeredet, wir gingen zu den Riten der Blemmyer, um sie zu lehren, dass Jesus der Adoptivsohn Gottes gewesen sei.«
Die Kirche der Blemmyer befand sich auf Bodenhöhe, eine bloße Fassade mit zwei Säulen und einem Tympanon, alles übrige war im Innern des Felsens. Der Priester rief die Gläubigen zur Andacht, indem er mit einem Hämmerchen auf eine mit Seilen umwickelte Steinplatte schlug, die scheppernd wie eine geborstene Glocke klang. Innen sah man nur den Altar, beleuchtet von Lampen, in denen, nach dem Geruch zu urteilen, nicht Öl, sondern Butter brannte, vielleicht Ziegenmilchbutter. Es gab weder Kruzifixe noch andere Bilder, weil, wie der Blemmyer erklärte, der Baudolino und den Seinen als Führer diente, nach Überzeugung der Blemmyer (der einzig richtigen) der Logos nicht Fleisch geworden war und sie also nicht das Bild eines Bildes verehren konnten. Aus dem gleichen Grund könnten sie auch die Eucharistie nicht ernst nehmen, weshalb es in ihrer Messe keine Wandlung gebe. Nicht einmal das Evangelium könnten sie lesen, denn es sei ja bloß die Erzählung einer Sinnestäuschung.
Baudolino fragte, was für eine Art von Messe sie denn dann noch feiern könnten, und der Führer sagte, tatsächlich versammelten sie sich zum Gebet, und dann diskutierten sie alle gemeinsam über das große Mysterium der falschen Fleischwerdung, das gänzlich aufzuklären ihnen noch nicht gelungen sei. Und wirklich, nachdem die Blemmyer niedergekniet waren und sich eine halbe Stunde lang in ihren seltsamen Vokalisen ergangen hatten, eröffnete der Priester das, was er ihr heiliges Palaver nannte.
Einer der Gläubigen stand auf und gab zu bedenken, dass der Jesus der Passion vielleicht kein echtes Phantasma gewesen sei, sonst müsste man ja die Apostel für blöd erklären, sondern eine höhere Macht, die vom Vater ausgegangen sei, ein Äon, der in den schon vorhandenen Leib eines Zimmermanns aus Galiläa gefahren sei. Ein anderer brachte den Gedanken vor, dass vielleicht Maria, wie einige schon erwogen hatten, zwar wirklich ein menschliches Wesen geboren hatte, dass aber der Gottessohn – also der Logos, der nicht Fleisch werden konnte – durch sie nur hindurchgeströmt sei wie Wasser durch eine Röhre, vielleicht sei er auch durch ein Ohr in sie eingedrungen. An dieser Stelle brach ein Sturm von Protesten los, und viele schrien »Paulikianer! Bogomile!« – womit sie ausdrücken wollten, dass der Betreffende eine häretische Lehre vorgebracht habe, und tatsächlich wurde er aus dem Tempel gejagt. Ein dritter erkühnte sich zu der These, dass derjenige, der am Kreuz gelitten hatte, Simon von Kyrene gewesen sei, der Jesus im letzten Moment ersetzt habe, wogegen die anderen einwandten, dass es, um jemand ersetzen zu können, diesen Jemand erst einmal geben müsse. Nein, erwiderte der Sprecher, der Jemand, der da ersetzt worden sei, sei eben genau der Jesus als Phantasma gewesen, der als solches nicht habe leiden können, und ohne Passion hätte es keine Erlösung gegeben. Erneuter Proteststurm, denn wer so rede, behaupte, dass die Menschheit durch den armen Simon von Kyrene erlöst worden sei. Ein vierter Gläubiger erinnerte daran, dass der Logos, also das Wort Gottes, während der Taufe am Jordan in Gestalt einer Taube in den Leib Jesu gefahren sei, aber es war klar, dass man auf diese Weise das Wort mit dem Heiligen Geist verwechselte und dass der von diesem durchdrungene Leib kein Phantasma war – und warum sollten sich dann die Blemmyer, wie sie es zu Recht taten, als phantasiastoi bezeichnen?
Von der Debatte mitgerissen, meldete sich an dieser Stelle der Poet zu Wort und fragte: »Aber wenn der nicht fleischgewordene Sohn bloß ein Phantasma war, warum spricht er dann im Garten Gethsemane so verzweifelte Worte, und warum beklagt er sich am Kreuz? Was kümmert es ein göttliches Phantasma, ob man ihm Nägel in einen Leib schlägt, der bloße
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