Die historischen Romane
Hand bekomme, was sich auf oder unter Venantius’ Tisch befindet.«
»Und was sollte das sein?«
»Das wissen wohl nicht einmal jene genau, denen es missfällt.«
»Demnach hätte Benno uns gar nichts zu sagen, sondern will uns nur möglichst weit vom Skriptorium weglocken?«
»Das werden wir ja gleich sehen«, erwiderte William. Und tatsächlich traf Benno kurz darauf ein.
Zweiter Tag
SEXTA
Worin Benno seltsame Dinge erzählt, aus denen man wenig Erbauliches über das Klosterleben erfährt.
W as uns Benno zu sagen hatte, klang einigermaßen konfus. Es schien wirklich, als hätte er uns nur an diesen entlegenen Ort gelockt, um uns aus dem Skriptorium zu entfernen. Aber es schien auch, dass er – unfähig, einen halbwegs glaubwürdigen Vorwand zu erfinden – uns Bruchstücke einer Wahrheit aufdeckte, die weiter reichte, als er selber es ahnte.
Heute Morgen, so begann er, habe er noch gezögert, aber jetzt sei er nach reiflicher Überlegung der Ansicht, dass William die ganze Wahrheit erfahren müsse. Während jener berühmten Diskussion über das Lachen neulich habe Berengar auf ein »finis Africae« angespielt. Was könnte er damit gemeint haben? Die Bibliothek sei voller Geheimnisse und insbesondere voller Bücher, die noch keiner der Mönche hier je habe lesen dürfen. Was William vorhin über die rationale Prüfung der Meinungen sagte, habe ihm sehr gefallen, erklärte uns Benno. Er legte dar, dass seines Erachtens ein forschender Mönch das Recht haben müsse, alle Schätze der Bibliothek zu kennen, er sagte heftige Worte gegen das Konzil zu Soissons, das Abaelard als Ketzer verurteilt hatte, und während er redete, wurde uns klar, dass dieser noch junge Mönch und Student der Rhetorik von einem heißen Unabhängigkeitsstreben erfüllt war und nur mit Mühe die Fesseln ertrug, die das strenge Reglement der Abtei dem Wissensdrang seines Intellekts auferlegte. Mir war seit jeher beigebracht worden, solchem Wissensdrang zu misstrauen, aber ich wusste, dass er meinem neuen Lehrer durchaus nicht missfiel, und tatsächlich bemerkte ich, dass William den jungen Eiferer mit Sympathie betrachtete und ihm ein gewisses Vertrauen schenkte. Kurzum, Benno gab uns zu verstehen, er wisse zwar nicht, von welchen Geheimnissen neulich zwischen Adelmus, Venantius und Berengar die Rede gewesen sei, aber es würde ihm nicht missfallen, wenn diese trübe Geschichte ein wenig Licht auf die seltsame Art werfen würde, wie hier die Bibliothek verwaltet werde, und es wäre ihm keineswegs unlieb, wenn Bruder William, wie immer er die zu untersuchende Angelegenheit auch entwirren werde, daraus Elemente gewönne, die den Abt dazu brächten, die geistige Disziplin ein wenig zu lockern, die hier auf den Mönchen laste. Auf Mönchen, so fügte Benno hinzu, die schließlich von weit her gekommen seien, um ihren Geist an den Wunderdingen zu nähren, die der voluminöse Bauch dieser Bibliothek enthalte.
Ich glaube, dass Benno ehrlich war in dem, was er sagte. Vermutlich wollte er allerdings, wie William es vorausgesehen hatte, sich im gleichen Zuge die Möglichkeit sichern, als Erster den Tisch des Venantius zu untersuchen, und um uns von diesem Tisch wegzulocken, war er bereit, uns gleichsam als Preis für die erhoffte Befriedigung seiner Wissbegier andere Informationen zu geben. So erfuhren wir Folgendes.
Berengar litt, was viele Mönche inzwischen wussten, an einer verzehrenden Leidenschaft für Adelmus – an derselben, deren Schändlichkeit einst den Zorn Gottes auf Sodom und Gomorra niederfahren ließ. So drückte Benno sich aus, vermutlich aus Rücksicht auf mein jugendliches Alter. Indessen weiß jeder, der seine Jugend in einem Kloster verbracht hat, auch wenn er selber stets keusch geblieben ist, dass es diese Leidenschaft gibt, und jeder hat sich gewiss auch schon hüten müssen vor den Nachstellungen derer, die ihr verfallen sind. Hatte ich selbst nicht zuweilen heimliche Briefchen von einem älteren Mönch erhalten, in denen Verse standen, wie sie Laien gewöhnlich an Frauenspersonen schreiben? Unsere Keuschheitsgelübde halten uns Mönche fern von der Lasterhöhle des weiblichen Körpers, aber sie bringen uns häufig genug auf andere Irrwege. Kann ich mir schließlich verhehlen, dass ich selber auf meine alten Tage gelegentlich heimgesucht werde vom Dämon der Mittagsstunde, wenn unwillkürlich mein Blick beim Chorgebet auf dem bartlosen Antlitz eines Novizen verweilt, das mir rein und frisch erscheint wie das
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