Die historischen Romane
was Venantius entdeckt haben könnte... Vieles lässt ihn verdächtig erscheinen. Aber bitte, sag du mir, wie kann ein Blinder jemanden töten, der im Vollbesitz seiner Kräfte ist? Und wie kann ein Greis, so rüstig er auch noch sein mag, die Leiche dann bis zu jenem Bottich im Hof schleppen? Doch warum könnte nicht schließlich auch Benno der Mörder sein? Er kann uns belogen haben, aus Gründen, die wir nicht kennen. Und warum sollten wir überhaupt den Kreis der Verdächtigen auf die Teilnehmer an jenem vielbeschworenen Streitgespräch über das Lachen beschränken? Vielleicht hat das Verbrechen ganz andere Motive, die gar nichts mit der Bibliothek zu tun haben? In jedem Fall gilt es jetzt zwei Dinge zu tun: herauszufinden, wie man nachts in die Bibliothek gelangt, und eine Lampe zu beschaffen. Kümmere du dich um die Lampe. Geh in die Küche, wenn das Essen bereitet wird, und sieh zu, dass du dir unbemerkt eine besorgen kannst...«
»Stehlen?!«
»Ausleihen, zur höheren Ehre Gottes.«
»Wenn das so ist, könnt Ihr auf mich zählen.«
»Bravo! Was den Zugang zum Aedificium betrifft, so haben wir gestern Abend gesehen, wo Malachias aufgetaucht ist. Ich werde heute Nachmittag einen Besuch in der Kirche machen und mir insbesondere jene Seitenkapelle ansehen. In einer Stunde gehen wir zum Essen. Danach sind wir zu einem Gespräch mit dem Abt verabredet. Du wirst dabei sein, denn ich habe ihn gebeten, einen Sekretär mitbringen zu dürfen, der sich Notizen über unsere Besprechung macht.«
Zweiter Tag
NONA
Worin der Abt sich stolz auf die Reichtümer seiner Abtei und furchtsam vor Ketzern erweist und Adson am Ende bezweifelt, ob er gut daran tat, sich hinaus in die weite Welt zu begeben.
W ir fanden den Abt in der Kirche vor dem Hochaltar. Er überwachte die Tätigkeit einer Handvoll Novizen, die gerade aus dem Tabernakel eine Reihe geweihter Schalen, Kelche, Monstranzen und Hostienteller geholt hatten sowie ein Kruzifix, das mir beim Morgengottesdienst noch nicht aufgefallen war. Unwillkürlich entfuhr mir ein bewundernder Ausruf beim Anblick all dieser herrlichen Kultgeräte. Es war um die Mittagsstunde, das Sonnenlicht fiel in gebündelten Strahlen durch die Fenster des Chors ein und mehr noch durch die der Seitenschiffe, so dass es helle Kaskaden bildete, die gleich mystischen Strömen von wahrhaft göttlicher Substanz einander an mehreren Stellen des weiten Kirchenraums überkreuzten und den Altar regelrecht überfluteten.
Die Schalen, die Kelche, das Kruzifix, alles offenbarte sein kostbares Material. Zwischen dem blitzenden Gelb des Goldes, dem fleckenlosen Weiß des Elfenbeins und dem transparenten Glanz der Kristalle sah ich Gemmen in allen Farben und Formen aufleuchten und erkannte die edelsten Steine, Hyazinth und Topas, Rubin und Smaragd, Saphir, Chrysolith und Karfunkel, Onyx, Achat und Jaspis. Und ich bemerkte, was ich am Morgen, als ich zuerst im Gebet entrückt und dann vom Schrecken erfasst war, noch nicht so recht wahrgenommen: Das Antependium des Altars und drei weitere Beschläge, die ihn schmückten, waren gänzlich aus Gold, ja aus Gold erschien der gesamte Altar, von welcher Seite man ihn auch betrachtete.
Der Abt sah mein Staunen und lächelte. »Die Reichtümer, die Ihr hier seht«, erklärte er meinem Meister und mir, »und andere, die Ihr noch sehen werdet, sind das Vermächtnis von Jahrhunderten frommer Andacht und Devotion, ein Zeugnis der Macht und Heiligkeit dieser Abtei. Fürsten und Potentaten der Erde, Erzbischöfe und Bischöfe haben für diesen Altar und seine Geräte die Ringe ihrer Investitur gespendet sowie das Gold und die Edelsteine, die ihre Größe bezeugten, auf dass alles hier eingeschmolzen werde zur höheren Ehre Gottes und dieses seines heiligen Ortes. Mag die Abtei auch heute erneut von einem schmerzlichen Trauerfall heimgesucht worden sein, so dürfen wir angesichts unserer Hinfälligkeit auf Erden doch nicht die Kraft und Herrlichkeit des Allmächtigen vergessen. Das Fest der heiligen Weihnacht naht, und so beginnen wir, die geweihten Geräte zu putzen, auf dass die Geburt des Erlösers gefeiert werde in allem gebotenen Prunk und aller gebührenden Pracht. Alles hier muss in herrlichstem Glanze erstrahlen...«, fügte er an und sah William fest in die Augen, und gleich danach begriff ich, warum er so stolz darauf beharrte, sein Tun zu rechtfertigen, »denn wir halten dafür, dass es nützlich und gut ist, die Wohltaten Gottes nicht zu verbergen,
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