Die Hitlers: Die unbekannte Familie des Führers
nicht wie erwartet aus. Statt Hitler empfängt ihn nur Brückner. Der SA-Mann bleibt hinter seinem Schreibtisch sitzen, während Willie wie ein Schulbub vor ihm stehen muss. »Sie wollen den Führer sprechen?«, fragt der Hitler-Vertraute. »Warum wollen Sie ihn sehen?« William Patrick antwortet: »Ich will mit ihm sprechen.« »Ja, ich weiß. Sie wollen mehr Geld verdienen.« Brückner lacht hämisch. »Das wollen wir doch alle.« Den Hinweis des Hitler-Neffen auf mögliche neue Jobangebote bürstet Brückner kühl ab: »Sie haben jetzt eine bequeme Stellung. Der Führer hat Ihnen gegenüber seine Pflicht erfüllt und fühlt sich nicht dazu berufen, noch mehr zu tun.« 171 Die Tür geht auf und schon wird der Gast wieder hinausgeleitet.
William Patrick ist geladen: So lässt er sich als Neffe des Führers nicht behandeln. Statt eines Geldregens nur eine Abfuhr. Der junge Mann spricht mit seinen Vorgesetzten bei der Reichskreditbank, er will kündigen, kokettiert sogar damit, wieder zurück nach England zu gehen. Aber schnell ist klar: Ohne Erlaubnis von oben geht nichts, außerdem gebe es Kündigungsfristen. Jetzt wird der Brite massiv und greift zu kaum verhüllten Drohungen. Er schreibt mit Datum 29. November 1934 einen Brief an Julius Schaub, den Vertrauten und persönlichen Adjutanten seines Onkels, in der Gewissheit, dass Schaub seinem Herrn das Schreiben vorlegen werde:
»Sehr geehrter Herr Schaub!
Es ist mir klargeworden, dass ich die Reichs-Kredit Gesellschaft ohne 8 wöchentliche Kündigung nicht verlassen kann. Da ich Deutschland spätestens kurz vor Weihnachten verlassen möchte, bitte ich Sie um die notwendige Fürsprache, es zu ermöglichen.
Allerdings wird es für mich zwecklos sein zu versuchen in England zu leben unter derselben Lebensauffassung von früher, indem ich normalerweise ebenso herzlich empfangen würde wie mein Onkel selbst. Ich möchte daher klarmachen, dass ich beabsichtige, mich von den politischen Einflüssen, die schon jahrelang mein Leben und das meiner Mutter angegriffen und verwüstet haben, endgültig zu befreien. Um das zu erzielen, werde ich die Erklärung der englischen Presse übergeben in diesem Sinn, die eine Besserung meiner Lebensverhältnisse in England sichern wird, obwohl ich dadurch mit einem Zusammenstoss mit meinem Onkel rechnen muss, was leider unvermeidlich geworden ist, weil ich mich nicht einem Zustand unterwerfen kann, die nicht meine beschränkte, jedoch dringende Lebensvoraussetzungen erfüllt oder billigt.
Da ich Weihnachten bei meiner Mutter sowieso verbringen werde, ist es für mich unmöglich, die Bedingungen meines Geschäftsvertrages einzuhalten, da ich eine Rückkehr zum Reich nicht beabsichtige. Ich bitte Sie daher nochmals um die gefällige Erledigung meiner vorerwähnten Bitte und verbleibe
ergebenst
W. Hitler« 172
Das ist, von allen Floskeln entkleidet, ein Erpresserbrief. Kaum verdeckt macht William Patrick seinem Onkel klar, er werde Familieninterna an die Zeitungen geben, um sich so einen ordentlichen Batzen Geld zu sichern. Genau so hat es Adolf Hitler auch verstanden. Sein langjähriger Rechtsanwalt und späterer Generalgouverneur in Polen, Hans Frank, berichtet: »Eines Tages … wurde ich zu Hitler gerufen. Er war in seiner Wohnung am Prinzregententheater. Er sagte mir unter Vorlage eines Briefes, daß hier eine ›ekelhafte Erpressergeschichte‹ eines seiner widerlichsten Verwandten vorliege, die seine, Hitlers, Abstammung betreffe. Wenn ich nicht irre, war es ein Sohn seines Stiefbruders Alois Hitler (aus der anderen Ehe von Hitlers Vater), der leise Andeutungen machte, dass sicher, ›im Zusammenhang mit gewissen Presseäußerungen, ein Interesse daran bestünde, sehr gewisse Umstände unserer Familiengeschichte nicht an die große Glocke zu hängen‹. Diese Presseäußerungen, auf die hier angespielt wurde, lauteten dahin, dass ›Hitler Judenblut in den Adern hätte und er daher eine geringe Legitimation hätte, Antisemit zu sein‹. Aber sie waren zu allgemein gehalten, ihm irgendwie Anlass zu weiteren Schritten zu geben. Im Rahmen des Kampfgewoges ging das auch alles unter. Aber diese erpresserhaften Hinweise aus dem Verwandtenkreis waren doch irgendwie bedenklich. Und ich ging im Auftrag Hitlers der Sache vertraulich nach.« 173
Jedenfalls hat der englische Neffe mit seinem Schreiben Erfolg. Er weiß um den Klatsch, dass sein Onkel jüdische Vorfahren haben soll. Hitler nimmt die Behauptungen zu jener Zeit sehr ernst,
Weitere Kostenlose Bücher