Die Hitlers: Die unbekannte Familie des Führers
einem Interview, das am 10. September 1943 stattfindet. Bereitwillig gibt William über sein Leben und die Familieninterna der Hitlers Auskunft. In dieser Kooperation sieht Willie eine Chance, bei offiziellen Stellen Boden gutzumachen und vielleicht doch noch die Möglichkeit zu erhalten, der Army beizutreten. In seinem geheimen Bericht vom selben Jahr mit dem Titel »Eine psychologische Analyse von Adolf Hitler – sein Leben und seine Legende« charakterisiert der Arzt seinen Gesprächspartner William Patrick folgendermaßen: »Er ist ein Mann von 32, der Sohn von Alois jr., der es nicht weit gebracht hat … Als sein Onkel berühmt wurde, erwartete er offensichtlich, dass etwas für seine Familie getan wird … Adolf Hitler aber war hauptsächlich daran interessiert, ihn versteckt zu halten und besorgte ihm einen unbedeutenden Job beim Autounternehmen Opel. Es ist mein Eindruck, dass William Patrick bereit war, sowohl seinen Vater als auch seinen Onkel zu erpressen, aber die Dinge liefen nicht wie geplant.« 190
Auch wenn die Skizze der Vergangenheit William Patricks nicht gerade schmeichelhaft klingt, so hält der Geheimdienstmitarbeiter den Hitler-Neffen doch für eine vertrauenswürdige Informationsquelle. Viele Geschichten und Anekdoten um die Hitlers sowie deren Stammbaum, die sich in dem Report wiederfinden, verdankt Langer seinem Gesprächspartner. Mögen manche Fakten etwas ungenau oder in einzelnen Fällen fehlerhaft sein, unterm Strich zeigt sich: William Patrick war in der Tat ein fleißiger Sammler der Familiengeheimnisse und hat von seinem Vater und den anderen Verwandten offenbar detaillierte Informationen erhalten – eingedenk der Tatsache, dass vieles nur mündlich überliefert worden war, eine erfolgreiche Fleißarbeit.
So nennt Langer William Patrick als Quelle dafür, dass Adolf Hitlers Vater »ein uneheliches Kind« gezeugt hat – was richtig ist. Der Informant berichtet: »Einmal schlug Vater Alois senior seinen Sohn Adolf so heftig, dass der wie tot liegen blieb. Es ist überliefert, dass Alois ein Trunkenbold war und ihn die Kinder regelmäßig von der Kneipe nach Hause bringen mussten. Wenn er nach Hause kam, gab es große Szenen, bei denen er ziemlich wahllos auf Frau, Kinder und Hund einschlug.« Andere Neuigkeiten über die Hitlers liefert Adolfs Neffe dem Geheimdienst ebenfalls: »William Patrick Hitler berichtet, dass es noch einen Sohn namens Leo gibt«, heißt es in dem OSS-Report über den Sohn von Adolfs Schwester Angela. »Es ist wenig über ihn bekannt, außer, dass er sich seit dem Tode Gelis weigert, etwas mit seinem Onkel Adolf zu tun zu haben. Er hatte eine Stelle in Salzburg und kam häufig nach Berchtesgaden, um seine Mutter zu besuchen, wenn Hitler in Berlin weilte, verschwand aber, sobald er hörte, dass Hitler auf dem Weg dorthin sei. Nach den Aussagen William Patricks klagte Leo ganz offen Hitler an, Gelis Tod mit verursacht zu haben und weigerte sich, mit ihm zu reden, so lange er lebte.« 191
Auch die Unstimmigkeiten zwischen Adolf und seinen Geschwistern im Hause Hitler sind ein Thema, ebenso dessen Eifersucht auf die Neugeborenen, die die Aufmerksamkeit der Mutter an sich binden. Langer analysiert: »Das ist sicher eine außergewöhnliche Serie von Ereignissen, die ihre Spuren in Adolfs unreifer Persönlichkeit hinterlassen … und Wirkungen auf die Familienmitglieder und ihre Beziehungen untereinander haben.«
Langers vertraulicher Bericht, mit Hilfe von William Patricks Informationen erstellt, ist eine wesentliche Grundlage des Kriegsteilnehmers Amerika, um den Feind Adolf Hitler zu begreifen und sich besser auf den Gegner einzustellen. Der Psychoanalytiker fasst seine Arbeit in dem Resümee »Hitlers wahrscheinliches Verhalten in der Zukunft« zusammen und destilliert acht Varianten heraus, die er – es ist der Blickwinkel eines US-Wissenschaftlers aus dem Jahr 1943 – für möglich hält:
»1. Hitler könnte eines natürlichen Todes sterben. Das ist nur eine entfernte Möglichkeit, denn, soweit wir wissen, ist er ganz guter Gesundheit, außer bei seinen Magenbeschwerden, die wahrscheinlich psychosomatische Ursachen haben.
2. Hitler könnte Asyl in einem neutralen Land suchen. Das ist extrem unwahrscheinlich im Hinblick auf seine großen Sorgen um seine Unsterblichkeit. Nichts würde den Mythos wirkungsvoller zerstören als ein Führer, der im kritischen Moment davonrennt.
3. Hitler könnte in der Schlacht getötet werden. Das ist eine reale Möglichkeit.
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