Die Hitze der Hölle
angrenzten.
Corbett lächelte Ranulf an. »Wir können das selbst regeln«, sagte er. »Ich soll bei Seagrave ein Faß Wein holen und zu den Templern in Framlingham bringen.«
Ranulf, der die Entscheidungen seines Herrn eilig niederschrieb, murmelte eine Entgegnung. Corbett wandte sich wieder der Pergamentrolle zu. Er bemerkte, daß in einer beachtlichen Zahl von Petitionen sowohl einzelner Bürger als auch der Stadt York über die seltsamen und rätselhaften Vorfälle beim Templeranwesen Framlingham geklagt wurde. Ein Mann, John de Huyten, beschwerte sich über Lichter, die noch spät in der Nacht im Herrenhaus brannten, und über Hymnen, die zu nächtlicher Stunde gesungen wurden. Eine Reihe weiterer Petitionen beschäftigte sich damit, daß die Gärten und übrigen Flächen von Framlingham seit der Ankunft der Templer sehr sorgfältig bewacht würden und daß diese so gegen alte Wegerechte verstießen. Ein Bittsteller, der Zimmermann Leofric Goodman, erklärte, daß man ihn aus Framlingham vertrieben habe. Er hätte im Herrenhaus arbeiten sollen. Er war ins Obergeschoß gegangen, um einen Fensterladen zu reparieren, aber ein Soldat der Templer hatte ihn beschimpft und handgreiflich vertrieben. Corbett legte seine Feder hin und stellte sich wieder neben das Fenster. Es wurde allmählich dunkel. Lampen und Fackeln waren bereits entzündet, und Ranulf murmelte, daß das Licht zu schwach zum Lesen sei. Corbett versuchte seine Gedanken zu ordnen. Er wäre gerne zu Maeve zurückgekehrt, hatte jedoch das Vorgefühl eines Unheils. Die Warnungen, die der König in London erhalten hatte, die Dolche, die in der Tür der St. Pauls Kathedrale gesteckt hatten, der seltsame, makabre Mord an der Landstraße bei York. Wer war der unglückliche Reiter? Wer hatte seinen Körper entzweigehauen und die obere Hälfte so gründlich verbrannt? Warum hielt sich Jacques de Molay in England auf? Und was wollten die Templer verstecken? Außerhalb des Klosters schrie eine Eule und kündigte ihre nächtliche Jagd an. Corbett erinnerte sich an einen alten Soldaten, den er auf einem Kriegszug in Wales kennengelernt hatte.
»Wenn die Eule vor der Abenddämmerung schreit«, hatte ihn dieser Mann gewarnt, »ist der Teufel unterwegs!«
2
I m Herrenhaus Framlingham machte Guido Reverchien, der Verwalter der Templer-Liegenschaften in Yorkshire, seine tägliche, einsame Wallfahrt den Kiesweg des großen Labyrinths entlang. Guido machte diese Wallfahrt wie gewöhnlich auf Händen und Knien und sprach dabei die kanonischen Gebete aus dem Brevier, um für seine Sünden zu büßen. Guido, der bereits seinen sechzigsten Geburtstag hinter sich hatte, war weißhaarig. Seine Haut hatte von der südlichen Sonne eine dauerhafte Bräune erhalten. Er glaubte eine große Sündenlast auf seinen Schultern zu tragen. Er war einer der dienenden Brüder, der Krieger Christi gewesen, die die Mauern Akkas im Jahre 1291 verteidigt hatten, bis die Horden der Mamelucken diese gestürmt und die Templerstadt in ein Meer aus Blut verwandelt hatten. Guido war es gelungen zu entkommen. Schulter an Schulter mit seinen Kameraden hatte er sich den Weg zum Kai und zu einem der letzten Boote freigekämpft, das ihn und andere Flüchtlinge zur Christenflotte draußen auf der Reede bringen konnte. Und wie Guido gekämpft hatte! Gelegentlich hatten sie in den schmalen staubigen Straßen knöcheltief in Blut gestanden, und doch war die Stadt gefallen, und er, Guido Reverchien, war gerettet worden. Seit dieser schrecklichen Nacht hatte er unter Alpträumen gelitten. Jede Minute seines Schlafes schien von der Zerstörung Akkas überschattet zu sein.
Jahre waren vergangen, und Guido hatte die Überzeugung erlangt, daß auch er hätte in Akka sterben sollen. Er hätte kämpfen sollen, bis ihn die Feinde Christi umgebracht hätten. So hätten andere entkommen können.
»Statt dessen«, hatte Guido seinem Beichtvater zugeflüstert, »kehrte ich nach England zurück zu einer angenehmen Aufgabe. Ich sollte Kornspeicher, Landsitze, Felder und Weiden des Templerordens beaufsichtigen. Pater, ich habe Christus verraten, ich habe meinen Gott enttäuscht. Ich muß zurückkehren. Nur so kann ich meine Seele retten.« Immer wieder hatte ihm sein Beichtvater versichert, daß das absolut nicht nötig sei. »Außerdem werdet Ihr in England gebraucht«, hatte er Guido durch das Gitter zugeflüstert. »Eure Pflichten liegen hier.« Aber Guido ließ sich nicht trösten, bis sein Beichtvater eines Tages
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