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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Dunkelheit. Und was er diesmal sah, erkannte er sofort: Es waren Tropfsteinzapfen, die da über ihm hingen, dräuend und nadelspitz. Ebenfalls fünf an der Zahl.
    Stalaktiten! Steinerne Zähne. Ihr Sickerwasser hatte die kegelförmigen Stalagmiten am Boden entstehen lassen.
    Lapidius setzte sich auf den nackten Fels, ohne die Kälte zu beachten. Auf einmal schien alles klar. Er war am Ziel. Dies musste die Höhle sein, in die man Freyja gelockt hatte. Hier, in der Sabbathöhle, war es gewesen, wo sie das Steingesicht und die steinernen Zähne gesehen hatte.
    Auch Gunda Löbesam hatte man hergebracht. Dafür gab es einen Beweis, der sich allerdings erst bei näherem Hinsehen erschloss: Es war die Anordnung der Stalagmiten. Sie erinnerten, genau wie die Hämatome auf dem Rücken der Korbmacherin, an die Fünf auf einem Würfel. Ja, Gunda Löbesam war hier niedergedrückt worden, bevor man sie geschändet und gemordet hatte! Wieder kam ein Tropfen herab. Er landete auf einem der Kegel und spritzte nach allen Seiten fort. Lapidius wusste, dass er eine unvorstellbar winzige, für das Auge unsichtbare Menge Kalk hinterlassen hatte. Sein Interesse als Wissenschaftler war geweckt. Er wartete auf den nächsten Tropfen und musste sich lange gedulden. Als er schließlich fiel, platzierte er die nächste Menge Kalk auf der Kegelkuppe. Wie lange mochte es dauern, bis dieserart ein Stalagmit aus dem Felsboden gewachsen war? Zehntausend Jahre? Hunderttausend Jahre? Unmöglich, wenn man der heiligen Mutter Kirche glaubte, denn ihrer Lehre nach war die Erde in sechs Tagen erschaffen worden und nur wenige tausend Jahre alt. Konnte das wirklich sein?
    Lapidius schob seine ketzerischen Überlegungen beiseite. Freyja fiel ihm ein. Er sagte sich, dass ihr Rücken keine Blutergüsse aufgewiesen hatte, was ein Hinweis darauf sein mochte, dass sie der Vergewaltigung entronnen war. Er hoffte es inbrünstig und widmete sich erneut dem Boden. Schrumpelige schwärzliche Weihrauchreste waren das Nächste, was er entdeckte. Seine Nase hatte sich also nicht geirrt.
    Er leuchtete weiter und bemerkte dunkle Flecken nahe der Stalagmiten. Blut. Das überraschte ihn nicht. Gunda Löbesam war grausam die Kehle durchschnitten worden. Danach hatte man sie nach Kirchrode geschafft und in Freyjas Wagen durch die Stadt gekarrt. Welch eine dämonische Energie steckte hinter all diesen Taten!
    Lapidius näherte sich dem Steingesicht und entdeckte davor die Asche eines Feuers. Dazu, etwas entfernter, eine gehörige Menge Scheitholz. Und dann sah er einen eisernen Topf. Was hatte es damit auf sich? War in der Höhle gekocht worden? Des Rätsels Lösung ergab sich, als Lapidius den Inhalt untersuchte. Er bestand aus einer schwarzdunklen Masse. Lapidius steckte den Finger hinein, spürte eine verkrustete Oberfläche und darunter glitschige, klebrige Verklumpungen. Und dann, übergangslos, wurde ihm schlecht. Denn was er ertastet hatte, war altes, eingedicktes Blut.
    Er kämpfte gegen den Brechreiz, aber konnte ihn nicht unterdrücken. In mehreren qualvollen Schüben übergab er sich und fühlte sogleich Erleichterung, obwohl er sich für seine Schwäche schämte. Er hatte schon ganz andere Dinge in seinem Leben gesehen und dennoch nicht erbrechen müssen. Den Kopf der unbekannten Toten beispielsweise. Der war kein schöner Anblick gewesen. Nein, beileibe nicht. Der dazugehörige Körper, das ließ sich mit Sicherheit sagen, befand sich nicht im Höhlendom. Allerdings ebenso wenig in seinem wie in Taufliebs Haus. Wo konnte er sein?
    Lapidius ließ die Frage offen, denn er musste sich um seinen blutverschmierten Finger kümmern. Er brauchte irgendetwas, womit er ihn abwischen konnte. Aber er hatte kein Schnupftuch. Schließlich steckte er ihn in die Asche der Feuerstelle und drehte ihn ein paar Mal hin und her.
    Leidlich wieder sauber, setzte er seine Nachforschungen fort. In einer Ecke der Höhle stieß er auf mehrere Fackeln, einige davon abgebrannt, die anderen noch unbenutzt. Sie lehnten aufrecht an der Wand und verdeckten fast eine kleine, am Boden stehende Flasche mit Becher. Lapidius nahm das gläserne Behältnis auf, löste den Wachspfropfen und roch daran. Er hatte den Geruch von Bilsenkraut erwartet, war sich seiner Wahrnehmung aber nicht ganz sicher. Sollte er das Fläschchen einstecken, um daheim seinen Inhalt bestimmen zu können? Nein. Die Herren der Höhle, wer immer sie auch waren, würden den Verlust sofort bemerken und wissen, dass ihnen jemand auf

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