Die Hitzkammer
zu Freyj a hinauf. Vielleicht möchte sie etwas trinken. Gib mir mal den Schlüssel.«
»Der is doch inner Wand, wie Ihrs gesacht habt. Ich soll ihn doch nich ham, wenn Ihr wech seid, un ich …«
»Schon gut, gib ihn mir … danke. War etwas Besonderes mit Freyja?«
»Ja, Herr, nein, Herr, ich mein, sie isn armes Ding, hat alleweil geschrien vor Schmerzen, die Arme, wie sollas nur noch wern! Hab ihrn Trank vonner Weidenrinde gemacht, der alte war nämlich alle, da gings. So, un nu laufich rasch hin zum Brunnen, binja so froh, Herr, dassich nich mehr allein bin, weil die beiden Zeuginnen wieder, oh … äh …«
Lapidius, der es sich bereits am Küchentisch bequem gemacht hatte, bekam plötzlich große Ohren. »Ja? Was ist mit den beiden Zeuginnen? Waren sie wieder da, so wie neulich, als sie dir angeblich gesponnene Wolle gebracht haben?«
Die Magd wurde puterrot. »Nee, nee, Herr, ich … ich …«
»Haben die Koechlin und die Drusweiler dich auszufragen versucht? Haben sie dir gedroht? Waren sie oben bei Freyja? Haben die beiden unseren Brunnen vergiftet? Antworte!«
»Nee, Herr, ogottogott, Herr, ich … ich …«
»Antworte! Es ist viel wichtiger, als du denkst!«
»Ich … ich hol jetzt schnell das Wasser.«
Später, nachdem Lapidius gegessen hatte und wieder zu Kräften gekommen war, versuchte er noch mehrfach, Marthe zum Sprechen zu bewegen, doch die Magd zeigte sich stumm wie eine Auster. Er ermahnte sie eindringlich, fand ungewohnt strenge Worte, ließ sogar anklingen, sich von ihr trennen zu wollen, allein: Marthe schwieg eisern.
Schließlich gab er es auf. Er schickte sie zu Bett, nahm einen Becher Brunnenwasser und spülte die Mahlzeit hinunter. Das Nass aus der Böttgergasse schmeckte nicht so gut wie das vom eigenen Hof, aber er hatte keine Wahl. Nachdem er den Becher erneut gefüllt hatte, stieg er leise die Treppe zu Freyja empor. Die kleine Öllampe vor der Türklappe zur Hitzkammer grüßte herüber. Sie kam ihm vor wie ein ewiges Licht. In ihrem Schein sah er, dass seine Patientin schlief. »Ruhe weiter«, murmelte er unhörbar, »in wenigen Tagen hast du es geschafft.«
Er zog die Truhe ein wenig heran und setzte sich, denn es verlangte ihn nach Freyjas Nähe. Nach einer Weile spürte er, wie die Augen ihm schwer wurden. Er ging wieder nach unten und ließ den Becher auf der Truhe stehen. Wenn sie durstig wurde, konnte sie nun an das Trinkgefäß herankommen.
Nachdem er seinen Rundgang gemacht und zur Sicherheit noch die schwere Gesteinskiste vor die Haustür geschoben hatte, begab er sich zur Ruhe.
Er hoffte, er würde in dieser Nacht besser schlafen.
SECHZEHNTER
BEHANDLUNGSTAG
Das Zittern war wieder da. Es zog sich durch den ganzen Körper, begann oben an den Augenlidern und endete unten an den Zehen. Freyj a versuchte sich zu strecken, doch das Zittern blieb. Mit Mühe blickte sie durch die Öffnung in der Türklappe. Der Tag war schon angebrochen. Sie erkannte die Truhe, die Lapidius als Sitzmöbel diente und die an diesem Morgen zum Greifen nah vor der Hitzkammer stand. Darauf: ein Becher.
Plötzlich spürte sie stechenden Durst.
Ob der Becher Wasser enthielt? Sie sammelte all ihre Kräfte und schob die Hand durch die Öffnung, packte das Gefäß am Henkel und zog es zu sich in die Dunkelheit. Der Becher enthielt tatsächlich Wasser, denn beim Anfassen hatte sie einen Teil verschüttet. Das verdammte Zittern! Sie nahm einen Schluck, spülte damit ihren vom Speichelfluss übel riechenden Mund aus und trank gierig weiter, bis der letzte Tropfen geleert war. Der Becher fiel ihr aus der Hand und landete polternd auf den Dielen des Oberstocks.
Die Tätigkeit des Trinkens hatte sie sehr erschöpft. Doch gottlob hörte das Zittern allmählich auf. Sie ließ sich zurücksinken und dachte an Lapidius. Bestimmt war das Wasser von ihm. Er hatte es gestern Abend für sie in Reichweite hingestellt. Sehr anständig. Überhaupt begegnete er ihr stets mit Achtung. Niemals nutzte er die Situation aus, um einen Blick auf ihre Blöße zu werfen. Nie wieder hatte er sie gefragt, wann und wie oft sie bei Männern gelegen hatte. Sie hätte ihm auch keine Antwort geben können. Seit der Zeit, da sie allein mit dem Kräuterwagen fuhr, hatte sie es zwei- oder dreimal mit einem Burschen getan, und sie konnte sich weder genau an die Namen noch an die Orte erinnern, nur daran, dass man ihr vorher Schnaps aufgenötigt hatte. Wenn ihre Mutter noch gelebt hätte, wäre ihr das gewiss nicht passiert.
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