Die Hitzkammer
erreichte, hatte die Dunkelheit schon eingesetzt. Er trat den Schnee von den Stiefeln, hängte den Mantel über einen Haken und ging auf Strümpfen in die Küche. Nachdem er den ganzen Tag in klirrender Kälte verbracht hatte, war er durchgefroren und hungrig wie ein Wolf. Er freute sich auf die Reste des Bratens. Vielleicht konnte die Magd ihm das Schweinerne sogar noch einmal anwärmen. »Marthe?«, sagte er leise, eingedenk ihrer Schreckhaftigkeit.
Die Magd antwortete nicht. Sie kniete mit gefalteten Händen vor einem Stuhl und schien ins Gebet versunken. Vor ihr, auf der Sitzfläche des Stuhls, stand ein mit Jesusbildern geschmücktes Transparent – ein kleines Kunstwerk, das in Form eines Triptychons gefaltet war.
»Marthe ! «
»Ogottogott, Herr! Ogottogott!«
»Ich habe dich doch nicht schon wieder erschreckt? Was hast du denn da auf dem Stuhl?«
Marthe schniefte und nahm die Hände auseinander. »Das isn Taschenaltar, Herr, den habich jetzt immer dabei. Da kann man beten, wo man will, wie inner Kirche. Ogottogott, essis alles so furchtbar!«
»Du bist in letzter Zeit sehr fromm, Marthe. Erst die Schluckmadonna, j etzt der Taschenaltar. So kenne ich dich gar nicht.« Lapidius’ Gedanken wandten sich wieder weltlicheren Dingen zu. Bei der Vorstellung an das köstliche Bratenfleisch lief ihm das Wasser im Munde zusammen. »Kannst du mir von dem Schweinernen etwas warm machen?«
»Essis alles so furchtbar, Herr. Der Brunnen im Hof, der Brunnen, er is vergiftet! «
»Wie, was?« Lapidius’ Gedanken lösten sich notgedrungen von den Genüssen des Leibes. Ein Brunnen stellte einen großen Wert dar. Wer einen hatte, konnte sich glücklich schätzen, weil er nicht auf die öffentlichen Quellen angewiesen war. Für Lapidius war dieser Vorteil ein wesentlicher Grund gewesen, das Haus zu kaufen, denn frisches, reines Wasser war oftmals Bestandteil seiner Experimente. »Vergiftet, sagst du? Unser schöner Ziehbrunnen?«
Marthe faltete den Taschenaltar zusammen und barg ihn unter ihrer Schürze. »Ja, Herr, essis nich zu fassen. Ich habs gar nich gemerkt, habn Eimer hochgeholt un stehn lassen, weilich noch zu Traute rüberwollt. Traute, die Frau vom Hanseken Schott, aufer annern Seite vonner Gasse, die wolltn Rezept von mir ham, wie man Karnickel mit Klößen macht, weil die Klöße, die wern immer nix bei ihr, fallen immer zusammen, die Dinger, un da habich ihr …«
»Marthe, schweife nicht ab!«
»Ja, Herr, j a. Jedenfalls, wie ich wiederkomm, is da ne tote Katze, die war aufn Eimer gesprungen un hat getrunken un dann warse tot. Muss einfach umgefallen sein. Das Wasser is vergiftet, Herr, ich sags Euch. Essisn hübsches Kätzchen, grau un schwarz gestreift, aber keiner kennts, auch Traute nich. Ogottogott, Herr, essis alles so furchtbar! Isses möglich, dass Ihr das Kätzchen vielleicht kennt?«
Lapidius hatte Marthes letzte Worte schon nicht mehr gehört, denn er war sofort überzeugt, dass hier ein Mordanschlag auf ihn und Freyj a verübt worden war. Und auf Marthe. Und dass sie ihr Leben nur dem Durst eines kleinen Kätzchens verdankten. Was bedeutete das?
Lapidius versuchte, logisch zu denken. Es konnte Zufall sein, dass die Mieze auf seinen Hof gesprungen war, um zu trinken. Oder aber, auch das war möglich, jemand hatte das Kätzchen hierher gebracht und dafür gesorgt, dass es trank – und starb. Die zweite Überlegung schien Lapidius wahrscheinlicher, denn das Tier war in der Nachbarschaft unbekannt. Er atmete innerlich auf. Wenn er richtig vermutete, hatte er es nur mit einer Warnung zu tun und nicht mit einem ernst gemeinten Anschlag auf sein Leben. Er stellte fest, dass die Fälle, in denen man ihn und sein Haus bedrohte, sich mehrten. Nun, er würde sich nicht einschüchtern lassen. Die Jagd nach den Filii Satani ging weiter. Er war ihnen heute entscheidend auf die Spur gekommen, wusste, wo sie sich versammelten, wo sie gemordet und mit Feuern und Fackeln den Sabbat gefeiert hatten. Er brauchte sie dort nur zu stellen. Allerdings, das war leichter gesagt als getan, denn er war allein gegen drei. Und er konnte nicht auf Hilfe hoffen. Von wem auch!
Lapidius merkte, wie seine Füße mehr und mehr erstarrten. Die Kälte des Dielenbodens kroch unbarmherzig durch seine Strümpfe. »Marthe, hole mir meine Hausschuhe und tische den Braten auf. Du brauchst ihn nicht mehr warm zu machen. Während ich esse, gehst du zum Brunnen am Ende der Gasse und holst frisches Wasser. Ich will nachher noch rasch
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