Die Hitzkammer
Lapidius wie eine Ewigkeit vorkam. »Ja, ich komm wohl nicht drum rum. Ich häng am Leben.«
»Das höre ich gern. Siehst du den Ofen dort an der Wand?«
»Den roten?«
»Ja. Das ist ein Athanor, die Wärmequelle des Alchemisten. Darin brennt das immer währende Feuer, das die Hitze für deine Behandlung liefern wird.« Er schritt zum Ofen hinüber und deutete nach oben. »Über dem Athanor führt der Kaminschacht zum Schornstein hinauf. Die heiße Luft zieht direkt an der Hitzkammer vorbei. So wirst du, in der Kammer liegend, stark und stetig schwitzen können.«
Freyja musterte ihn aufmerksam.
»Vielleicht fürchtest du jetzt, dass dir die Zeit lang werden wird, aber sieh her. Diese Maueröffnung neben meinem Bett ist der Zugang zu einem toten Schacht. Er führt ebenfalls nach oben. Das Praktische ist: In der Hitzkammer befindet sich ein ähnliches Loch. Man muss nur in eine der Öffnungen hineinsprechen, um sich zu verständigen.«
»Zeigt mir die Kammer.«
Lapidius stieg vor ihr die knarrende Treppe empor. Fahles Licht fiel in den Oberstock und ließ mehrere abzweigende Türen erkennen. Die kleinste glich eher einer Holzklappe; sie maß nur drei Fuß in der Höhe und besaß seitliche Scharniere. Mit einiger Mühe zerrte Lapidius sie auf. Spinnweben wurden sichtbar und, im Halbdunkel dahinter, schräg nach oben laufende Dachsparren. Stickig-warme Luft schlug ihnen entgegen. »Ich verfüge leider nicht über eine Hitzkammer, wie die Medizin sie vorschreibt. Schließlich bin ich weder Arzt noch Bader. Aber ich denke, es wird auch hierin gehen.«
»Das ist ja nur eine Abseite!«
»Ja. Der einzige Ort im Haus, der sich als Hitzkammer eignet.«
»Da kann ich ja nicht mal drin sitzen! Nur liegen wie … wie … in einem Sarg!«
»Ich weiß.« Lapidius war bemüht, unbeteiligt zu klingen. »Eine sitzende Position ist für die Behandlung der Syphilis auch nicht erforderlich. Du wirst quer hinter der Tür liegen, auf einer Strohmatratze, und du wirst während der gesamten Kur nackt sein. Die Einschmierungen und Behandlungsschritte wird Marthe nach meinen Anweisungen vornehmen. Sie wird dich auch mit Flüssigkeit versorgen, allerdings in Maßen, damit du nicht deine Notdurft verrichten musst. Sollte das doch einmal der Fall sein, kannst du sie oder mich durch den Sprechschacht erreichen.« Er deutete auf ein Loch in der Innenwand der Abseite. »Hier hinein musst du sprechen. Außerdem werde ich eine Öffnung in die Tür schneiden lassen, damit du tagsüber etwas Licht hast. Es wird gut sein, wenn du die meiste Zeit schläfst.«
Freyja Säckler schüttelte kaum merklich den Kopf. »Ich will nicht sterben, Gott ist mein Zeuge! Aber ob ich das schaff, weiß ich nicht …«
»Du musst. Was sind drei Wochen gegen ein ganzes Leben, das du damit erretten kannst!«
Die Frau antwortete nicht und blickte in die Hitzkammer hinein. »Da sind Spinnen«, sagte sie, »und wenn Spinnen da sind, gehts nicht. Ich ekle mich vor ihnen. Wenn ich mir vorstell, ich schlaf, und eine lässt sich auf meinen Kopf runter.« »Ich werde dafür sorgen, dass Marthe sie täglich entfernt. Glaub mir, wenn die Behandlung erst einmal begonnen hat, werden Spinnen deine geringste Sorge sein. Bedenke im Übrigen: Während du die Syphilis auskurierst, kann ich den Anschuldigungen gegen dich nachgehen und versuchen, sie zu entkräften. Mit ein wenig Glück hat sich am Ende alles aufgeklärt, und du kannst als freie Frau die Stadt verlassen.«
»Glück?« Freyjas blaugrüne Augen musterten Lapidius. »Ich hab noch nie im Leben Glück gehabt.«
Am Abend hatte Marthe den Körper der Säckler zunächst mit einem schwefelhaltigen Präparat gegen die Pusteln behandelt und anschließend über und über mit Quecksilbersalbe eingeschmiert. Nur zögernd, so Marthes Bericht, war die Patientin daraufhin in die Hitzkammer gekrochen, hatte sich aber wortlos niedergelegt. Danach hatte die Magd sich die Hände gründlich am Hofbrunnen gewaschen.
»Schläft sie schon?«, fragte Lapidius, als Marthe sein Laboratorium betrat.
»Nee, Herr, sie hat Durst, sachtse, aber ich wusst nich, ob ich ihr was geben darf.«
»Das hast du ganz richtig gemacht«, lobte Lapidius. »Wenn du nicht noch anderweitige Arbeit hast, kannst du jetzt schlafen gehen.«
»Danke, Herr. Gute Nacht, Herr.«
»Gute Nacht.« Lapidius spürte ein Gefühl der Erleichterung. Der erste Schritt war getan. Freyja Säckler war freiwillig in die Hitzkammer gestiegen. Aber er wusste aus Erfahrung:
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