Die Hitzkammer
wenig beliebt in Kirchrode. Er galt als verschlossen und misstrauisch. Nur der Tatsache, dass sein handwerkliches Geschick über jeden Zweifel erhaben war, verdankte er sein Auskommen. »Bevor Ihr mich unterbrochen habt, wollte ich sagen, dass die Klappe zu einer Abseite führt, in der eine Frau liegt. Sie schläft dort und schwitzt ihre Krankheit aus. Ich sage das nur, damit Ihr Euch nachher nicht wundert.«
»Eine Frau in einer Abseite? In Eurem Haus?« Tauflieb runzelte die Stirn.
»Ja, es klingt merkwürdig. Ich kann nicht mehr dazu sagen. Nur so viel: Ich handele im Auftrag der Stadt. Das muss Euch genügen. Ich darf Euch bitten, strengstes Stillschweigen zu bewahren, in Eurem eigenen Interesse.«
Tauflieb murmelte irgendetwas, dann kam ihm eine Erleuchtung. »Ist das die Blonde, die mir den Gorm vorgestern von der Arbeit abgehalten hat?«
Der Hilfsmann grinste einfältig, als sein Name fiel.
»Es ist eine kranke junge Frau, die vor sich selbst geschützt werden muss. Deshalb das Schloss. Wenn Ihr es einbaut, seid so freundlich und schneidet außerdem ein Loch in die Türklappe. Ob rund oder eckig, ist mir egal.«
»Das ist Tischlerarbeit«, wehrte der Meister ab. »Ich komme in Teufels Küche, wenn ich anderen ins Handwerk pfusche.«
»Tut es trotzdem. Mir liegt daran, dass möglichst wenige um die Kranke in der Abseite wissen.« Lapidius schob einen weiteren Taler auf die Werkbank.
Tauflieb zögerte. Dann steckte er auch diesen ein.
Lapidius lächelte. »Ich freue mich, Meister, dass wir einander verstehen. Ich verspreche Euch, das bleibt unter uns; ebenso wie Ihr mir versprecht, nicht über die Kranke in der Abseite zu reden.«
Tauflieb spitzte die Lippen. »Alle Achtung, Ihr seid ein raffinierter Kopf, wenn die Bemerkung gestattet ist. Es sei, wie Ihr sagt.« »Und was ist mit Gorm? Wird auch er den Mund halten?« »Für Gorm lege ich meine Hand ins Feuer. Der hält dicht.
Wie heißt es so schön? Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.« »Dann sehe ich Euch später.«
Als Lapidius wieder auf die Böttgergasse hinaustrat, hatte ein frischer Wind eingesetzt. Er wehte von den Bergen herab und vertrieb die üblen Gerüche zwischen den Häusern. Ein Hauch von Frühling lag in der Luft. Lapidius ertappte sich dabei, Lust auf einen kleinen Spaziergang zu verspüren, was aber selbstverständlich nicht in Frage kam. Seine Arbeit im Laboratorium ging vor. Andererseits, wenn er den Gang nun mit etwas Nützlichem verbinden konnte? Zum Beispiel, indem er die beiden Zeuginnen aufsuchte, die Freyja belastet hatten? Wie waren noch ihre Namen? Richtig: Auguste Koechlin hieß die eine, Drusweiler die andere. Maria Drusweiler, wenn er sich recht erinnerte. Beide hatten mit ihren Aussagen dafür gesorgt, dass die Säckler gefoltert worden war. Wobei man von Aussagen kaum sprechen konnte, eher von schweren Anschuldigungen. Sie hätte Kinderfinger zu Salbe eingekocht, hatte es geheißen, und einen Axtstiel zum Bluten gebracht.
Lapidius, ein Mann der Wissenschaft, glaubte nicht an solchen Hokuspokus, auch wenn keinesfalls auszuschließen war, dass es Geister und Dämonen gab. Aber Freyja Säckler eine Hexe? Unsinn. Ein Gespräch mit den beiden angeblich so unbescholtenen Frauen würde Aufklärung bringen. Auch darüber, warum sie solche Ungeheuerlichkeiten behaupteten.
Allerdings hatte er keine Ahnung, wo die beiden wohnten. Was also tun? Plötzlich fiel ihm ein, dass ihm im Gegensatz dazu das Haus des Stadtmedicus durchaus bekannt war. Es lag in einer Seitengasse hinter dem Kornmarkt. Spontan beschloss er, nach dem erkrankten Mann zu sehen. Lapidius kannte ihn zwar nur dem Namen nach – Johannes Gesseler hieß er –, aber immerhin bestand eine Verbindung zwischen ihnen, da Lapidius ihn in der Folterkammer vertreten hatte. »Wohlan denn«, murmelte er, »ich werde dem Herrn meine Aufwartung machen.«
Johannes Gesseler war ein Doctorus medicinae, wie seine Approbation verriet. Sie hing über seinem Bett, gold gerahmt und unübersehbar. Und sie war beileibe nicht das einzig Spektakuläre im Schlafraum des Stadtmedicus, denn daneben erkannte Lapidius die Abbildung eines nackten männlichen Körpers aus der Fabrica von Vesalius, bemerkenswerterweise mit geröteltem Genitalbereich. Dazu, auf Borden stehend, einige Marmorexponate von Geschlechtsteilen sowie mehrere Glashäfen mit menschlichen Organen in Spiritus, ferner präparierte Testikel, Skrota und Penisse. Alles wirkte mehr oder weniger eingestaubt und verriet,
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