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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Über kurz oder lang würde sie ihr Gefängnis verlassen wollen, und das musste verhindert werden. In ihrem eigenen Interesse. Rasch griff er zu einem Becher und mischte darin einen kräftigen Schlaftrunk an. Dann, ein Talglicht in der einen, den Becher in der anderen Hand, kletterte er die Treppe zum Oberstock hinauf. »Ich bins, Lapidius!«, rief er. »Ich habe noch etwas für dich.«
    Mit einem heftigen Ruck wurde die Türklappe von innen zugezogen. »So kann ich es dir nicht geben.«
    »Ich bin nackt, und ich stink am ganzen Körper nach der Salbe.« Die Klappe öffnete sich einen Spaltbreit. »Was habt Ihr denn für mich?«
    »Einen Schlaftrunk. Hier.« Er gab den Becher in die herausgestreckte Hand.
    »Danke. Schlaf ist immer gut.«
    »Ja, das stimmt«, sagte Lapidius, »sehr gut sogar.«

ZWEITER
BEHANDLUNGSTAG
    Lapidius hatte die Nacht über kaum ein Auge zugetan. Immer wieder waren seine Gedanken zu Freyja Säckler gewandert. Und nicht wenige Male war er versucht gewesen, durch den Sprechschacht das Wort an sie zu richten. Doch er hatte es unterlassen. Freyja schlief tief und fest, das wusste er; schließlich hatte er ihr am gestrigen Abend eigenhändig ein Tranquilium verabreicht.
    Er stand rasch auf, reinigte sich am Waschgeschirr und kleidete sich an. Dann steckte er den Kopf durch die Küchentür. Marthe hantierte bereits geschäftig mit Töpfen und Pfannen. Sie pflegte, mit seinem Einverständnis, stets für drei zu kochen, um am Nachmittag ihrer alten Mutter etwas vorbeibringen zu können. »Marthe, ich gehe mal rasch hinüber zu Tauflieb.«
    »Was? Wie?«, schreckte die Magd auf. »Oh, Herr, hab Euch gar nich gehört. Guten Morgen. Was sachtet Ihr?« »Ich gehe mal rasch zu Meister Tauflieb.«
    »Ja, so. Gut. Un wassis mit Essen?«
    »Ich habe jetzt keinen Hunger, und bis Mittag bin ich lange zurück.«
    Marthe begann Bohnen in einen Napf zu schnippeln. »Sollich für vier kochen? Weil Freyja doch da is …«
    »Nein, die Patientin bekommt für die Zeit der Behandlung ausschließlich Flüssigkeit. Die kann sie zusammen mit den kranken Säften ausschwitzen.«
    »Gar nix Festes? Kein Braten, kein Käse, kein Gemüse nich? Dassis aber ne komische Krankheit, wo man nich richtich zu beißen kriegt, um aufe Beine zu kommen, un ich will auch nich weiter drüber reden, wie ichs versprochen hab, aber komisch isses doch.« »Die Ärzte sehen eine solche Behandlung vor. Im Übrigen hinterlässt feste Nahrung nur feste … äh … Ausscheidungen, die du dann fortmachen müsstest. Du darfst Freyja täglich eine kräftige Brühe geben, mehr jedoch nicht.«
    »Is recht, Herr, wenn Ihrs sacht.«
    Lapidius öffnete die Haustür und rümpfte die Nase. Er war sehr geruchsempfindlich, weshalb er mehr als andere darunter litt, dass die Bürger Kirchrodes ihren Abfall einfach auf die Straße kippten. Er hatte Marthe angewiesen, den eigenen Unrat in einem Bottich zu sammeln und alle zwei Tage fortzukarren, ebenso wie sie täglich vor dem Haus zu kehren hatte, aber diese Maßnahmen waren nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Lapidius atmete aus und stelzte an Speiseresten, Hühnerknochen und Urinlachen vorbei zur Schlosserei hinüber. Er klopfte kräftig, um sich gegen die Hammerschläge, die drinnen ertönten, Gehör zu verschaffen. Als ihn niemand hereinbat, stieß er die Tür auf und betrat die Werkstatt. Der Lärm wurde von Gorm verursacht, der sich über einen Schraubstock beugte und Blech umbördelte. Neben ihm stand der Meister, mit Argusaugen die Tätigkeit seines Hilfsmannes überwachend. »Guten Morgen, Meister Tauflieb«, grüßte Lapidius höflich.
    »Morgen.« Tauflieb gehörte nicht zu den Freundlichen im Lande. Er sah kaum auf und schnauzte stattdessen Gorm an: »Pass auf, dass die Kante gerade wird!«
    »Meister Tauflieb, ich wollte Euch bitten, heute Vormittag an einer meiner Türen ein Schloss anzubringen.«
    Tauflieb grunzte.
    »Sie befindet sich im Oberstock und ist eher eine Klappe. Sie führt zu einer Abseite, die …«
    »Ich habe keine Zeit.«
    Wortlos legte Lapidius einen Taler auf die Werkbank.
    »Hm, vielleicht kann ich es doch einrichten.« Taufliebs Blick wanderte von der Münze hinauf in Lapidius’ Gesicht. Er hatte eng zusammenstehende Augen, dunkel, forschend, humorlos. »Euch muss eine Menge an dieser Arbeit liegen, da sie Euch so viel wert ist.« »Ganz recht.« Lapidius schluckte. Er hatte geahnt, dass die Unterredung mit Tauflieb nicht erfreulich sein würde. Der Meister war

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