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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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denn er starrte wie gebannt auf die kaum verhüllte Frau.
    »Stimmts, Gorm?«
    »Ja, jahaaa.« Gorm konnte den Blick nicht von Freyja lösen.
    Tauflieb fuhr fort: »Auf einmal schießt dieses Weib hervor, rennt uns über den Haufen und schreit wie am Spieß. Na, mir kanns egal sein, die Arbeit ist getan. Auch das Loch haben wir in die Klappe geschnitten.«
    Lapidius biss sich auf die Lippen. Die Situation, die er unbedingt hatte vermeiden wollen, war eingetreten. Die Wirkung seines Tranquiliums hatte vorzeitig nachgelassen, und Freyj a war wach geworden. Doch daran ließ sich nun nichts mehr ändern. »Ich danke Euch, Meister Tauflieb«, sagte er. »Bitte lasst uns allein.«
    »Das müsst Ihr mir nicht zweimal sagen«, knurrte Tauflieb, »hier, nehmt den Schlüssel zum Schloss. Komm schon, Gorm.«
    Lapidius wandte sich an Marthe. »Du hast sicher Arbeit unten in der Küche.«
    Die Magd verschwand ebenfalls, wenn auch widerstrebend.
    Jetzt erst hatte Lapidius Zeit, Freyj a richtig in die Augen zu sehen. Wut stand darin. Wut und Empörung. Und eine Portion Verzweiflung. »Ich hatte gehofft, du würdest länger schlafen«, sagte er betont ruhig. »Dann hätte ich dir alles erklären können.«
    »Pah! Ich lass mich nicht wegschließen wie ein Hund!« »Es ist nur zu deinem Besten, bitte, glaub mir.«
    »Pah!«
    »Setz dich da auf die Truhe und hör mir zu. Ich habe dir schon gesagt, dass die Kur außerordentlich unangenehm ist. Du wirst nicht nur schwitzen, dir werden auch sämtliche Knochen im Leibe wehtun. Manches Mal wirst du glauben, es nicht mehr aushalten zu können, und nur noch einen Gedanken haben: hinaus aus der Hitzkammer! Hinaus, hinaus! Aber glaube mir: Es wäre das Falscheste, was du machen kannst. Einmal begonnen, musst du die Kur um alles in der Welt durchstehen, denn bei einem Abbruch wäre alles umsonst gewesen.«
    Freyja Säckler schwieg. Immerhin schossen ihre blaugrünen Augen keine Zornesblitze mehr.
    Lapidius setzte nach: »Ich werde nicht immer darauf achten können, dass du stark bleibst. Nur deshalb habe ich das Schloss anbringen lassen. Wenn du jetzt denkst, das sei wie im Kerker, vergiss nicht, dass dein Aufenthalt in der Hitzkammer freiwillig ist. Und überhaupt: Das Schloss ist nur eine Sicherheit für dich, eine Sicherheit wie … wie«, er suchte nach Worten, »wie sie damals auch Odysseus brauchte, als er dem Gesang der Sirenen widerstehen wollte.«
    Die Frau blickte verständnislos und drückte das Stück Sack fester an sich.
    »Ach, du kennst die Odyssee natürlich nicht, also lass dir erklären: Odysseus war ein König im alten Griechenland. Er war ein listiger Krieger und großer Seemann. Auf einer Fahrt über das Meer kam er eines Tages in die Nähe der Insel, auf der die Sirenen lebten. Das waren Meeresnymphen mit Vogelleibern und Frauenköpfen. Von ihnen hieß es, ihre Gesänge seien so süß, dass niemand sich ihrem Locken entziehen könne. Ein Seemann, der sie vernahm, steuerte wie unter Zwang sein Schiff geradewegs auf die Insel zu, wo es an den Felsen zerschellte. Odysseus war nun in der Zwickmühle: Einerseits wollte er unbedingt die süßen Stimmen hören, andererseits wollte er nicht sein Schiff verlieren. Weißt du, wie er das Problem löste?«
    »Nein, weiß ich nicht.«
    Aufatmend stellte Lapidius fest, dass die Geschichte Freyjas Aufmerksamkeit zu fesseln begann. »Nun, er befahl seinen Männern, ihn an den Mast zu binden, so fest, dass es ihm nicht einmal unter Aufbietung aller Kräfte gelingen konnte, sich zu befreien. Gleichzeitig schärfte er ihnen ein, sich in keinem Fall um ihn zu kümmern, egal, was er täte.«
    »Und dann ist er zu den Sirenen hin?«
    »Nein, noch nicht. Erst legte er einen Kurs fest, der sein Schiff nahe an der Insel vorbeifuhrte, dann sorgte er dafür, dass seine Männer sich die Ohren mit Wachs zustopften. Alsbald kam er in den Bereich der Gesänge, und sie waren über die Maßen süß und verlockend. Odysseus befahl, das Schiff zur Insel zu steuern, aber seine Männer beachteten ihn nicht, wie er es angeordnet hatte. Er befahl es erneut, und wieder gehorchten sie ihm nicht. Da fing er an zu schreien; er tobte, flehte, bettelte, denn die Gesänge waren überirdisch schön.
    Indes: Seine Männer segelten ungerührt an der Insel vorbei. Sie selbst konnten der Versuchung ja nicht erliegen, da sie nichts hörten. Odysseus aber hatte auf diese Weise zweierlei erreicht. Er hatte die Stimmen vernommen und sein Schiff behalten.«
    »Aha. Und ich bin

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