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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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an den Fall Freyja Säckler erinnerte. Und an seine Unfähigkeit, ihn zu lösen.
    Ein Hauklotz und ein Axtstiel. Im Hof der Zeuginnen hatte es ebenfalls beides gegeben. Und einen Kräutergarten, von dem er nicht wusste, ob darin Bilsenkraut wuchs oder nicht. Überhaupt wusste er viel zu wenig! Immer noch kopfschüttelnd, packte er die Axt, schwang sie hoch über seinen Kopf und wollte sie niedersausen lassen, aber zu seiner Überraschung gehorchte sie ihm nicht. Der Stiel schien in der Luft festzustecken. Abrupt und unverrückbar. »Harhar, das is lustich!« Gorm stand hinter Lapidius. Seine Pranke umschloss die Axt wie ein Schraubstock.
    »Lass los! Ich will weitermachen.«
    »Nich nötich. Gorm macht.« Der Riese hatte selbst ein Langbeil dabei, ein prachtvolles Werkzeug mit messerscharfer Schneide. »Gorm macht«, sagte er abermals, schob Lapidius wie einen Sack beiseite und begann übergangslos Scheite zu spalten.
    Lapidius wunderte sich. Erst gestern hatte Gorm unter fadenscheinigem Grund sein Haus betreten, und heute war er schon wieder da. »Hast du keine Arbeit in der Schlosserei?«, fragte er.
    Als Antwort nahm Taufliebs Hilfsmann ein mächtiges rundstämmiges Holzstück, das fast so groß war wie der Hauklotz, und zerschlug es mit einem einzigen Hieb. »Freyja«, brummte er, »wie is ihr heut?«
    Lapidius hatte an diesem Morgen nur kurz mit seiner Patientin gesprochen, aber immerhin lange genug, um zu wissen, dass die Schmerzen wieder eingesetzt hatten. Auch waren ihr die Lippen rissig und wund gewesen. Marthe hatte sie mit Wollfett eingerieben. »Nicht so gut.«
    Ein weiteres großes Holzstück zerbarst. »Was sacht Freyj a?«
    Lapidius verstand nicht. »Was soll sie sagen? Wozu soll sie etwas sagen?«
    »Sie redet viel?«
    »Nein, wieso?« Lapidius reichte Gorm weiteres Holz an. »Nich gut. Reden nich gut.« Wieder ein gewaltiger Schlag. »Reden nich gut für … für Gesundheit.«
    Lapidius fragte sich, was der Hilfsmann überhaupt wollte. Er war gekommen, um ihm beim Holzhacken zu helfen. Das stand fest, denn er hatte ein Langbeil dabeigehabt. Andererseits hatte er sofort die Sprache auf Freyja gebracht. Was reizte den Koloss an der Frau? Ihre Schönheit konnte es nicht sein. Nicht mehr. Aber vielleicht war es genau umgekehrt, vielleicht zog ihn ihr abstoßendes Äußeres an?
    Gerade wollte Lapidius nachfragen, da erscholl die ärgerliche Stimme Taufliebs über den Hof: »Gorm, du Nichtsnutz! Was hackst du anderer Leute Holz! Komm sofort in die Werkstatt, hier gibts Arbeit genug!«
    Unter den Schimpfworten seines Meisters duckte sich der Hilfsmann wie ein geschlagener Hund. Er nahm sein Langbeil über die Schulter und trollte sich umgehend. Lapidius stand bis zu den Knöcheln in gehacktem Holz. Wollte er den Hof verlassen, musste er die Scheite wohl oder übel stapeln. Er überlegte kurz, ob er Marthe dazu bitten sollte, aber die Magd war seit der gestrigen Begegnung mit den Zeuginnen wie umgewandelt. Von ihrer lebhaften, redseligen Art war wenig übrig geblieben. Sie hatte ihn am Morgen kaum begrüßt und – noch bedenklicher – nicht einmal gefragt, was er an Essen zu sich nehmen wolle. Lapidius bückte sich und begann die Scheite aufzuschichten.
    Der Athanor musste brennen.
    Zwei Stunden später stand Lapidius vor den Häusern der Koechlin und der Drusweiler. Das Geheimnis, das über den beiden Frauen lag, hatte ihm keine Ruhe gelassen. Außerdem wollte er wissen, wie sie auf den Namen Gunda Löbesam reagieren würden und was sie im Hochwald zu schaffen gehabt hatten. Er klopfte an die Tür der Koechlin und wartete.
    Nichts geschah. Nur ein Geräusch war zu hören, ein polternder Laut, als wäre etwas umgefallen. Danach huschende Schritte. Jemand war zu Hause! Aber niemand öffnete. Lapidius klopfte abermals, diesmal kräftiger.
    Wieder nichts.
    Er versuchte es nebenan bei der Drusweiler, aber auch dort ging niemand an die Tür. »Ihr hockt hinter euren Fenstern und beobachtet jede meiner Bewegungen«, murmelte er. »Aber einlassen wollt ihr mich nicht. Nun gut, dann schaue ich mich wenigstens einmal um.« Er schritt auf den gemeinsamen Hof, wo sich der Kräutergarten befand. Jetzt im April blühte noch nichts, aber Lapidius war Kenner genug, um die Pflanzen auch so unterscheiden zu können. Er sah Majoran, Salbei, Minze, Bärlauch, Thymian und viele andere. Plötzlich stieß er einen Pfiff aus. Er hatte etwas entdeckt: die typischen buchtig-gezähnten Blätter des Schwarzen Bilsenkrauts. Gleich

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